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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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schmächtig und zerbrechlich zwischen ihr und den Männern stehen und versuchen durch die zerscherbte Brille etwas zu sehen. Die Vilanova und Pedrão brachen in Lachen aus, auch die Frauen, die eben Töpfe und Essensreste verwahrten, lachten. Jurema verbiß sich das Lachen. Der Kurzsichtige tat ihr leid. Wo gab es noch einmal so ein hilfloses, verängstigtes Geschöpf wie ihren Sohn? Alles erschreckte ihn, die Leute, die ihn streiften, die Krüppel, Verrückten und Aussätzigen, die um milde Gaben bettelten, die Ratten, die durch den Laden huschten: alles und jedes entriß ihm diesen kleinen Klagelaut, verzerrte sein Gesicht, ließ ihn ihre Hand suchen.
    »Ich habe sie nicht gezählt«, lachte Pedrão. »Wozu, wo wir sie doch alle umlegen werden?«
    Wieder gab es Gelächter. Über den Höhen begann es hell zu werden.»Besser, die Frauen gehen hier weg«, sagte Honório Vilanova. Wie sein Bruder, trug er außer dem Gewehr eine Pistole und ging in Reitstiefeln. Durch ihre Art, sich zu kleiden, durch ihre Sprache und selbst durch ihre äußere Erscheinung wirkten die Vilanova auf Jurema anders als alle sonst in Canudos. Doch niemand behandelte sie, als ob sie anders wären.
    Pedrão, der den Kurzsichtigen vergaß, winkte den Frauen, ihm zu folgen. Die Hälfte der Lastträger kletterte schon den Hang hinauf, die übrigen standen noch mit den Lasten auf ihren Schultern. Über den Hügeln von Cocorobó erschien ein roter Ball. Als der Zug aufbrach, um sich hinter den Kämpfenden einen Standort zwischen den Felsen zu suchen, schwenkte der Kurzsichtige den Kopf nach allen Seiten, ohne sich von der Stelle zu rühren. Sie nahm ihn bei der Hand, die von Schweiß naß war. Seine unschlüssigen, glasigen Augen sahen sie dankbar an. »Gehen wir«, sagte sie und zog ihn fort. »Sonst lassen sie uns zurück.« Sie mußten den Zwerg wecken, der wie ein Murmeltier schlief.
    Als sie an einen geschützten Platz kamen, nicht weit unter dem Gipfel, zog die Vorhut des Heeres in den Hohlweg ein. Der Krieg begann. Die Vilanova und Pedrão verschwanden, und zurück blieben, zwischen verwitterten Felsen auf die Schüsse horchend, die Frauen, der Kurzsichtige und der Zwerg. Es waren ferne, vereinzelte Schüsse. Jurema hörte sie von links und von rechts und dachte, daß der Wind den Lärm verwehe, der gedämpft klang. Sie sah nichts; eine Wand bemooster Steine verstellte die Sicht auf die Schützen. Obwohl der Krieg nahe war, erschien er ihr unendlich fern. »Sind es viele?« stammelte der Kurzsichtige. Er war noch immer an ihre Hand geklammert. Sie wisse es nicht, antwortete sie und ging und half den Sardelinhas beim Abladen der Maultiere, dem Aufstellen der Wasserkrüge und Töpfe mit Essen, dem Ausbreiten der Stoffstreifen und Lappen zum Verbinden, der Salben und Medikamente, die der Apotheker in eine Schachtel gepackt hatte. Sie sah, daß der Zwerg nach oben kletterte. Der Kurzsichtige setzte sich auf den Boden und schlug die Hände vors Gesicht, als ob er weinte. Aber als ihm eine der Frauen zurief, er solle Zweige sammeln, damit sie ein Dach machen könnten, stand er hastig auf, und Jurema sah, wie er sichplagte, wie er den Boden nach Schößlingen, Gras und Laub abtastete und stolpernd der Frau brachte, was er fand. Und diese Schlottergestalt, die kam und ging, aufstand und fiel und mit der närrischen Brille die Erde absuchte, wirkte so komisch, daß ihn die Frauen zuletzt verspotteten und mit dem Finger auf ihn deuteten. Der Zwerg verschwand zwischen den Felsen.
    Plötzlich fielen die Schüsse häufiger und näher. Die Frauen erstarrten, horchten. Jurema sah sie ernst werden bei dem anhaltenden Knattern der Salven: sie vergaßen den Kurzsichtigen und dachten an ihre Männer, Väter und Söhne, die auf der anderen Seite des Bergs Ziel dieses Feuers waren. Rufino kam ihr in den Sinn und sie biß sich auf die Lippen. Die Schießerei betäubte sie, ängstigte sie aber nicht. Sie fühlte, daß dieser Krieg sie nichts anging und die Kugeln sie deshalb verschonen würden. Sie spürte eine solche Schläfrigkeit, daß sie sich neben den Sardelinhas gegen den Fels kauerte. Sie schlief, ohne zu schlafen, einen wachen Schlaf, der Schießerei bewußt, die die Berge von Cocorobó erschütterte, und träumte gleichzeitig von anderen Schüssen, Schüsse an diesem Morgen in Queimadas, bei Tagesanbruch, als die Capangas sie beinahe töteten und der Ausländer mit der seltsamen Sprechweise sie vergewaltigte. Sie träumte, wie sie ihn bat, es nicht zu

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