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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Signale blasen, wo Verwundete stöhnen, erfährt der Sergeant Frutuoso Medrado den Grund des plötzlichen Rückzugs: Die aus Queimadas und Monte Santo anrückende Kolonne ist in einen Hinterhalt geraten, und statt Canudos von Norden her anzugreifen, muß die Zweite Kolonne in Eilmärschen ihr zu Hilfe kommen, um sie aus der Klemme zu ziehen.
    Der Sergeant, der mit vierzehn ins Heer eingetreten ist, der den Krieg gegen Paraguay mitgemacht und bei den Aufständen gekämpft hat, die nach dem Sturz der Monarchie im Süden ausgebrochen sind, murrt nicht bei dem Gedanken, daß er in unbekanntes Gebiet aufbrechen muß, nachdem er sich einen ganzen Tag lang geschlagen – und wie geschlagen! – hat. Die Banditen sind tapfer, das muß er ihnen lassen. Mehrmals haben sie der Kanonade standgehalten, ohne zu weichen, so daß die Soldaten sie mit dem Bajonett herausholen und, wie die Wilden, Mann gegen Mann gegen sie antreten mußten: dieseHurensöhne kämpften wie die Paraguayer! Im Unterschied zu ihm, der sich nach ein paar Schluck Wasser und ein paar Bissen Zwieback wieder frisch fühlt, wirken seine Männer erschöpft. Es sind Neulinge, in den letzten sechs Monaten in Bagé rekrutiert; dies ist ihre Feuertaufe gewesen. Sie haben sich gut gehalten, er hat keinen schlappmachen sehen. Sollten sie vor ihm mehr Angst haben als vor den Engländern? Seinen Untergebenen gegenüber ist er ein energischer Mann, das merken sie gleich. Statt der vorschriftsmäßigen Strafen – Ausgangssperre, Kerker, Auspeitschen – hält sich der Sergeant lieber an Kopfnüsse, Ohrenziehen, Tritte in den Hintern, oder er schmeißt sie in die Suhlpfützen der Schweine. Sie sind gut trainiert, das haben sie heute bewiesen. Alle sind unversehrt, bis auf den Gemeinen Corintio, der sich an einem Stein angeschlagen hat und hinkt. Er ist mager, der Tornister zieht ihn beim Gehen nach unten. Gutmütiger Kerl, dieser Corintio, schüchtern, hilfsbereit, Frühaufsteher, und Frutuoso Medrado begünstigt ihn, weil er Florisas Mann ist. Der Sergeant spürt einen Kitzel und lacht in sich hinein. Du bist mir eine Hure, Florisa, denkt er. Machst mir einen Ständer, obwohl ich weit weg und im Krieg bin. Er möchte laut lachen über die Eseleien, die ihm da einfallen. Er schaut hinüber zu Corintio, der unter seinem Tornister gebuckelt dahinhumpelt, und denkt an den Tag, als er mit der größten Unverfrorenheit in der Hütte der Wäscherin erschien: »Entweder du schläfst mit mir, Florisa, oder Corintio hat jede Woche Ausgangssperre, ohne Recht auf Besuch.« Einen Monat lang sträubte sich Florisa, dann gab sie nach, zuerst, um Corintio zu sehen, und jetzt, glaubt Frutuoso, schläft sie mit ihm, weil es ihr Spaß macht. Sie machen es gleich in ihrer Hütte oder an der Flußbiegung, wo sie wäscht. Es ist ein Verhältnis, mit dem sich Frutuoso brüstet, wenn er betrunken ist. Ahnt Corintio etwas? Nein, er weiß nichts. Oder er tut so, denn was kann er schon ausrichten gegen einen Mann wie den Sergeanten, der noch dazu sein Vorgesetzter ist?
    Er hört Schüsse von rechts und geht Hauptmann Almeida suchen. Der Befehl lautet: Weitergehen, die Erste Kolonne freikämpfen, verhindern, daß die Fanatiker sie aufreiben. Die Schüsse sind Ablenkungsmanöver, die Banditen haben sich in Trabubú neu formiert und wollen sie zum Stehen bringen.General Savaget hat zwei Bataillone der Fünften Brigade abkommandiert, die den Kampf aufnehmen sollen, während die anderen den Eilmarsch bis zu der Stelle fortsetzen, wo sich General Oscar befindet. Hauptmann Almeida ist derart düster, daß Frutuoso ihn fragt, ob etwas nicht in Ordnung sei.
    »Schwere Verluste«, murmelt der Hauptmann. »Über zweihundert Verletzte, siebzig Tote, darunter Hauptmann Tristão Sucupira. Sogar General Savaget ist verwundet.«
    »General Savaget?« sagt der Sergeant. »Eben habe ich ihn auf seinem Pferd gesehen, Exzellenz.«
    »Weil er tapfer ist«, antwortet der Hauptmann. »Er hat einen Bauchschuß.«
    Frutuoso kehrt zu seiner Jägergruppe zurück. Bei so vielen Toten und Verwundeten haben sie Glück gehabt: sie sind unversehrt, bis auf Corintios Knie und seinen eigenen kleinen Finger. Er tut nicht weh, blutet aber, der Verband ist dunkel verfärbt. Der Arzt, Hauptmann Néri, hat gelacht, als der Sergeant wissen wollte, ob er nun wegen Invalidität untauglich geschrieben würde. »Haben Sie noch nie verkrüppelte Offiziere und Soldaten gesehen?« Ja, er hat sie gesehen. Sein Haar sträubt sich bei dem

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