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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Gewehrfeuer der Jagunços. Im Halbdunkel sieht João Grande die Knöpfe an ihren Koppeln glänzen, die goldenen Abzeichen an ihren Mützen. Mit fast unmerklichem Nicken verabschiedet sich Pajeú, und die zwei »Kleinen«beginnen auf allen vieren den Hang hochzuklettern. João Grande und die zwölf Macambira folgen ihnen, auch sie auf Händen und Füßen, und dahinter die Katholische Wachmannschaft. Sie klettern so leise, daß nicht einmal João Grande sie hört. Die Geräusche, die sie machen, das Rollen der Steinchen, scheinen vom Wind zu kommen. Hinter sich, unten in Belo Monte, hört er ein ununterbrochenes Raunen. Beten sie den Rosenkranz auf dem Platz? Sind es die Gesänge, unter denen Canudos jede Nacht die am Tag Gestorbenen begräbt? Vor sich sieht er nun schon Gestalten und Lichter, hört er Stimmen. Alle seine Muskeln sind angespannt in Erwartung dessen, was geschehen wird.
    Die »Kleinen« geben ihnen Zeichen, stillzustehen. Sie sind nahe an einer Wache: vier Soldaten, stehend, dahinter, vom Schein eines Feuers beleuchtet, viele Gesichter. Der alte Macambira kriecht schwer atmend zu João Grande: »Wenn du die Pfeife hörst, schießt du.« Er nickt. »Der gute Jesus soll Euch beschützen, Dom Joaquim.« Er sieht die zwölf Macambira mit ihren Hämmern, Brechstangen und Äxten auf dem Rücken und den Kleinen, der sie führt, in der Dunkelheit verschwinden. Der zweite Junge bleibt bei ihm.
    Angespannt wartet er im Kreis seiner Männer auf den Pfiff, der ihm anzeigen soll, daß die Macambira bei der Metzlerin angekommen sind. Lange bleibt er aus, und dem ehemaligen Sklaven ist, als würde er ihn nie hören. Als er – durchdringend, schauerlich, unvermittelt – alle anderen Geräusche übertönt, feuern er und seine Männer gleichzeitig auf die Wachen. Eine ohrenbetäubende Schießerei geht los. Ein gewaltiges Durcheinander entsteht, die Soldaten löschen das Feuer. Sie schießen von oben herunter, haben sie aber nicht geortet: die Schüsse gehen in andere Richtungen.
    João Grande befiehlt seinen Leuten vorzurücken, und einen Augenblick später schießen sie und werfen Sprengkörper auf das nun dunkle Lager, aus dem Laufschritte, Stimmen, wirre Befehle zu hören sind. Sobald er sein Gewehr leergeschossen hat, hockt sich João Grande hin und horcht. Oben, auf dem Monte Mário, ist offenbar auch ein Gefecht im Gange. Kämpfen die Macambira mit den Artilleristen? Auf jeden Fall lohnt es nicht, länger zu bleiben; auch seine Kameraden habenihre Kartuschen verschossen. Mit einem Pfiff befiehlt er den Rückzug.
    Auf halber Höhe des Hangs holt ihn laufend eine kleine Gestalt ein.
    João Grande legt dem Jungen die Hand auf den zerzausten Haarschopf.
    »Hast du sie zur Metzlerin gebracht?« fragt er.
    »Ich hab sie hingebracht«, antwortet der Junge.
    Hinter ihnen knattert Gewehrfeuer, als stünde die ganze Favela im Krieg. Der Kleine fügt nichts hinzu, und João Grande denkt einmal mehr an die seltsame Art des Sertanejo, der lieber schweigt als redet.
    »Und was ist mit den Macambira?« fragt er schließlich.
    »Sie haben sie getötet«, sagt der Kleine sanft.
    »Alle?«
    »Ich glaube, alle.«
    Sie haben das Niemandsland auf halbem Weg zu den Schützengräben erreicht.
    Als Pedrãos Männer den Rückzug antraten, fand der Zwerg den Kurzsichtigen, eingekeilt an einer Wegbiegung von Cocorobó, weinend. Er faßte ihn an der Hand und führte ihn durch die Jagunços, die in größter Eile nach Belo Monte zurückkehrten, überzeugt, daß die Soldaten der Zweiten Kolonne gegen die Stadt anrücken würden, sobald sie die Sperre von Trabubú durchbrochen hätten. Als sie am Morgen des folgenden Tages einen Schützengraben bei Mocambo überquerten, fanden sie mitten im Menschengewimmel Jurema: sie ging zwischen den Sardelinhas, einen mit Körben beladenen Esel vor sich hertreibend. Freudig fielen sie sich in die Arme, und der Zwerg fühlte, daß Jurema, als sie ihn an sich drückte, die Lippen auf seine Wange legte. Nachts, als sie hinter Fässern und Kisten im Laden lagen und die Schüsse hörten, die pausenlos auf Canudos fielen, erzählte ihnen der Zwerg, daß dieser Kuß, solange er denken könne, der erste gewesen sei, den er jemals erhalten habe.
    Wie viele Tage schon dauerte das Dröhnen der Kanonen, das Knattern der Gewehre, das Sausen der Granaten, die die Luft schwärzten und Scharten in die Türme des Tempels rissen?Drei? Vier? Fünf? Sie schlichen durch den Laden, sahen bei Tag und bei Nacht die Vilanova und

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