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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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die anderen kommen, hörten sie diskutieren und Befehle erteilen und begriffen nichts. Eines Nachts hörte der Zwerg, als er mit einem großen Löffel Pulver für Musketen in Taschen und Hörner füllte, wie ein Jagunço, auf den Sprengstoff deutend, sagte: »Ich hoffe, deine Mauern sind fest, Antônio Vilanova. Eine einzige Kugel kann das entzünden, und das ganze Viertel fliegt in die Luft.« Der Zwerg verschwieg es seinen Gefährten. Wozu den Kurzsichtigen noch mehr aufregen? Durch alles, was sie hier gemeinsam erlebt hatten, waren beide ihm lieb geworden wie nicht einmal die Zirkusleute, die Menschen, mit denen er sich am besten verstanden hatte.
    Zweimal während der Bombardierung verließ er den Laden, auf der Suche nach Essen. Dicht an den Mauern, wo auch andere gingen, geblendet vom Staub und von den Schüssen betäubt, bettelte er. In der Rua da Madre Igreja sah er ein Kind sterben. Es war einer flatternden Henne hinterhergerannt, und nach ein paar Schritten riß es die Augen auf und zappelte in der Luft, wie an den Haaren gezogen. Die Kugel traf es in den Bauch und tötete es sofort. Der Zwerg trug das tote Kind in das Haus, aus dem er es hatte kommen sehen, und da niemand dort war, legte er es in die Hängematte. Das Huhn konnte er nicht einfangen. Trotz der Ungewißheit und der vielen Toten hob sich die Stimmung der drei, als João Abade die Rinder nach Belo Monte brachte und sie zu essen hatten.
    Es war Nacht, eine Feuerpause war eingetreten und das Raunen der Betenden auf dem Hauptplatz verstummt. Sie lagen im Laden auf dem Boden und unterhielten sich, als plötzlich lautlos eine Gestalt, ein Tonlämpchen in der Hand, im Türrahmen erschien. An der Narbe und den kleinen, stahlharten Augen erkannte der Zwerg Pajeú. Er hatte eine Flinte umgehängt, trug Machete und Jagdmesser im Gürtel und mehrere Patronengürtel lagen kreuzweise über seinem Hemd.
    »Mit allem Respekt«, murmelte er. »Ich möchte, daß Sie meine Frau werden.«
    Der Zwerg hörte den Kurzsichtigen seufzen. Es schien ihm unfaßbar, daß dieser derart abweisende, düstere, eiskalte Mann so etwas gesagt haben konnte. Er ahnte, daß hinter diesem vonder Narbe entstellten Gesicht ein großes Verlangen lag. Es waren keine Schüsse zu hören, kein Hundegebell, keine Litaneien, nur das Gebrumm einer Hummel, die gegen die Wand sauste. Dem Zwerg schlug das Herz heftig, nicht aus Angst, sondern aus innigem Mitgefühl mit diesem zerschnittenen Gesicht, das im Schein der Lampe unverwandt auf Jurema gerichtet war, wartend. Er hörte den erschrockenen Atem des Kurzsichtigen. Jurema sagte nichts. Wieder sprach Pajeú, sorgfältig jedes Wort artikulierend. Er sei nie verheiratet gewesen, nicht so, wie die Kirche, der Vater, der Ratgeber es befahlen. Seine Augen ließen Jurema nicht los, sie blinzelten nicht, und der Zwerg dachte, daß es töricht sei, Mitleid zu fühlen mit einem derart gefürchteten Mann. Doch Pajeú wirkte in diesem Augenblick schrecklich schutzlos. Er habe flüchtige Liebschaften gehabt, solche, die keine Spuren hinterlassen, aber keine Familie, keine Kinder. Sein Leben habe es nicht zugelassen. Ein einziges Gehen, Fliehen, Kämpfen sei es gewesen. Deshalb habe er gut verstanden, was der Ratgeber meinte, als er erklärte, die Erde sei müde, erschöpft, weil immer dasselbe von ihr gefordert werde, und eines Tages werde sie Ruhe verlangen. Belo Monte sei für ihn gewesen wie das Ausruhen der Erde. Sein Leben sei leer gewesen von Liebe. Nun aber ... Der Zwerg bemerkte, daß er Speichel schluckte, und es kam ihm vor, als seien die Sardelinhas aufgewacht und hörten im Finstern Pajeú sprechen. Seine Sorge, das, woran er nachts denken müsse, sei, ob nicht sein Herz aus Mangel an Liebe verdorrt wäre. Er stammelte, und der Zwerg dachte: Ich und der Kurzsichtige, wir existieren nicht für ihn. Es sei aber nicht verdorrt: in der Caatinga habe er Jurema gesehen und es gewußt. Etwas Seltsames geschah mit der Narbe: im flackernden Licht der Lampe entstellte sie sein Gesicht mehr als sonst. Seine Hand zittert, dachte der Zwerg verwundert. An diesem Tag habe sein Herz gesprochen, sein Gefühl, seine Seele. Durch Jurema habe er entdeckt, daß er innerlich nicht verdorrt sei. Ihr Gesicht, ihr Körper, ihre Stimme erschienen ihm, da und da. Er berührte den Kopf, die Brust, und bei der jähen Bewegung hob und senkte sich das Flämmchen. Wieder schwieg er, wartete, und wieder waren das Gebrumm der Hummel und ihre Rammstöße gegen die Wand zu

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