Der Krieg am Ende der Welt
hören. Jurema blieb stumm.Der Zwerg betrachtete sie verstohlen: in sich gekehrt, ernst, abweisend, hielt sie dem Blick des Caboclo stand. »Wir können jetzt nicht heiraten, jetzt haben wir andere Pflichten«, fügte Pajeú wie entschuldigend an. »Erst wenn die Hunde abgezogen sind ...«
Der Zwerg hörte den Kurzsichtigen stöhnen. Auch diesmal wichen die Augen des Caboclo nicht von Jurema, um den Mann neben ihr anzusehen. Aber da sei noch etwas ... Etwas, woran er in diesen Tagen, während er den Gottlosen nachsetzte oder in den Gefechten, oftmals gedacht habe. Etwas, das sein Herz erfreuen würde. Er schwieg, schämte sich, überwand sich, es zu sagen: Ob ihm Jurema das Essen und das Wasser nach Fazenda Velha bringen würde? Das sei etwas, worum er die anderen beneide, etwas, das er auch haben wolle. Würde sie das tun?
»Ja, ja, sie wird es tun, sie wird es Ihnen bringen«, hörte der Zwerg den Kurzsichtigen hastig hervorstoßen. »Sie wird es tun.«
Selbst diesmal wandte der Caboclo die Augen nicht auf ihn.
»Was ist der für dich?« hörte er ihn fragen. Und nun war seine Stimme schneidend wie ein Jagdmesser. »Er ist doch nicht dein Mann?«
»Nein«, sagte Jurema sanft. »Er ist ... wie mein Kind.« Die Nacht füllte sich mit Schüssen. Erst eine Garbe, dann eine zweite, heftigere. Schreie waren zu hören, Schritte, eine Explosion.
»Ich bin froh, daß ich gekommen bin und mit Ihnen gesprochen habe«, sagte der Caboclo. »Jetzt muß ich gehen. Gelobt sei der gute Jesus.«
Der Laden versank wieder in Finsternis, und statt der Hummel hörten sie in Abständen ferne und nahe Gewehrsalven. Die Vilanova waren in den Schützengräben und erschienen nur zu den Besprechungen mit João Abade; die Sardelinhas verbrachten den größten Teil des Tages in den Gesundheitshäusern und brachten denen, die kämpften, Essen. Der Zwerg, Jurema und der Kurzsichtige blieben als einzige im Haus zurück. Durch den Transport, den João Abade gekapert hatte, war der Laden wieder angefüllt mit Waffen und Sprengstoff. Eine Palisade aus Sandsäcken und Steinen schützte die Vorderfront.»Weshalb hast du ihm keine Antwort gegeben?« hörte der Zwerg den Kurzsichtigen sich erregen. »Pajeú war in einer ungeheuren Spannung, er mußte sich Gewalt antun, um zu sprechen. Warum hast du ihm nicht geantwortet? Wußtest du nicht, daß in diesem Zustand seine Liebe in Haß hätte umschlagen, daß er dich hätte schlagen und töten können und uns dazu?«
Er schwieg, weil er einmal, zweimal, zehnmal hintereinander niesen mußte. Als sein Anfall vorbei war, endeten auch die Schüsse. Die nächtliche Hummel brummte wieder um ihre Köpfe.
»Ich will nicht Pajeús Frau werden«, sagte Jurema, als spräche sie nicht zu ihnen. »Wenn er mich zwingt, nehme ich mir das Leben. Mit einem Xique-Xique-Dorn wie die Frau aus Calumbi. Ich werde nie seine Frau.«
Der Kurzsichtige hatte einen neuen Niesanfall, und der Zwerg erschrak: Was würde aus ihm werden, wenn Jurema starb?
»Wir hätten flüchten sollen, als es noch möglich war«, hörte er den Blinden stöhnen. »Jetzt kommen wir nie mehr heraus. Wir werden eines schrecklichen Todes sterben.«
»Pajeú hat gesagt, daß die Soldaten abziehen werden«, flüsterte der Zwerg. »Er hat es mit Überzeugung gesagt. Er weiß es, er steht im Kampf, er kennt sich im Krieg aus.«
Bei anderen Gelegenheiten widersprach ihm der Blinde. Ob er genauso verrückt sei wie diese Optimisten, ob er sich einbilde, die Jagunços könnten einen Krieg gegen die Streitmacht Brasiliens gewinnen? Glaube etwa auch er, König Dom Sebastião werde erscheinen und an seiner Seite kämpfen? Diesmal schwieg er. Der Zwerg war sich nicht so sicher wie er, daß die Soldaten unbezwingbar seien. Waren sie nach Canudos hereingekommen? Hatte ihnen João Abade nicht ihre Waffen und ihr Vieh abgejagt? Es hieß, daß die Soldaten auf der Favela, von allen Seiten beschossen und ohne Essen, wie Fliegen stürben und kaum mehr Kugeln hätten.
Doch in den folgenden Tagen sah der Zwerg, den die Gewohnheit des Wanderlebens nicht lange im Haus hielt, so daß er trotz der Kugeln auf die Straße ging, daß Canudos nicht den Anblick einer siegreichen Stadt bot. Oft traf er in den Gassen auf einen Toten oder Verwundeten, und wenn der Beschuß heftig war,dauerte es Stunden, bis sie in die Gesundheitshäuser gebracht wurden, die nun alle neben Mocambo in der Rua Santa Inês waren. Außer wenn er den Krankenpflegern half, sie dorthin zu tragen, mied
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