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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Leiber, die auf der Leiter der Märtyrer zum Thron des Vaters aufsteigen oder sterbend vielleicht unter fürchterlichen Schmerzen unter den rauchenden Trümmern. Aber in Wirklichkeit hört und sieht und denkt der Beatinho nicht: die Welt ist leer, er hat kein Fleisch, keine Knochen mehr, er ist eine Feder, schutzlos wirbelnd in einem Abgrund. Wie durch die Augen eines anderen sieht er Pater Joaquim die Hand des Ratgebers vom Zottelhaar des Löwen von Natuba nehmen und sie ihm neben die andere auf den Leib legen. Da beginnt der Beatinho in dem ernsten, tiefen Ton, in dem er in der Kirche und bei Prozessionen psalmodiert, zu sprechen.
    »Wir werden ihn in den Tempel bringen, den wir auf sein Geheiß errichtet haben, und werden drei Tage und drei Nächte lang bei ihm wachen, damit alle Männer und Frauen ihn anbeten können. In einer Prozession werden wir ihn durch alle Häuser und Gassen von Belo Monte tragen, damit sein Leib ein letztes Mal die Stadt läutert vom Makel des Hundes. Und werden ihn bestatten unter dem Hauptaltar des Tempels des guten Jesus und auf seinem Grab das Holzkreuz aufstellen, das er in der Wüste mit eigenen Händen gemacht hat.«
    Er bekreuzigt sich fromm und alle bekreuzigen sich, ohne den Blick von dem Bett zu wenden. Das erste Schluchzen, das derBeatinho hört, ist das des Löwen von Natuba; sein kleiner, buckliger, asymmetrischer Körper windet sich unter dem Weinen. Der Beatinho kniet nieder, und alle tun es mit ihm; nun hört er auch andere schluchzen. Doch jetzt bemächtigt sich Pater Joaquims Stimme mit lateinischen Gebeten des Sanktuariums und übertönt für eine lange Weile die Geräusche von draußen. Während der Beatinho mit gefalteten Händen betet und langsam wieder zurückfindet in sein Gehör, seine Augen, seinen Körper, in dieses Erdenleben, das er verloren zu haben schien, fühlt er eine unendliche Hoffnungslosigkeit, wie er sie nicht mehr gefühlt hat, seit er als Kind Pater Morães sagen hörte, er könne nicht Priester werden, weil er unrein geboren sei. »Warum hast du uns gerade jetzt verlassen, Vater?« »Was sollen wir ohne dich tun, Vater?« Er denkt an den Stacheldraht, den der Ratgeber ihm in Pombal umgebunden hat und der an seinem Leib rostig und krumm und Fleisch von seinem Fleisch geworden ist, und er sagt sich, daß dieser Draht nun wie alles, was der Heilige bei seinem Aufenthalt auf Erden berührt, getragen oder gesagt hat, eine kostbare Reliquie ist.
    »Es geht nicht, Beatinho«, behauptet João Abade.
    Der Straßenkommandant kniet neben ihm, seine Augen sind blutunterlaufen, seine Stimme ist erregt. Aber in dem, was er sagt, liegt ruhige Bestimmtheit.
    »Wir können ihn nicht in den Tempel des guten Jesus bringen, ihn auch nicht so bestatten, wie du es möchtest. Wir können es den Leuten nicht antun, Beatinho! Willst du ihnen den Dolch in den Rücken stoßen? Willst du ihnen sagen, daß der tot ist, für den sie kämpfen, obwohl sie keine Kugeln und nichts mehr zu essen haben? Willst du eine solche Grausamkeit begehen? Wäre das nicht schlimmer als die Greuel der Freimaurer?«
    »Er hat recht, Beatinho«, sagt Pajeú. »Wir können ihnen nicht sagen, daß er gestorben ist. Nicht jetzt, nicht in dieser Lage. Alles würde zusammenbrechen, die Leute hätten keinen Halt mehr, sie würden wahnsinnig werden. Wenn wir wollen, daß sie weiterkämpfen, müssen wir es ihnen verschweigen.«
    »Nicht nur deshalb«, sagt João Grande, und diese Stimme erstaunt ihn am meisten, denn seit wann macht dieser schüchterne Riese, dem man jedes Wort einzeln abringen muß, den Mund auf, um seine Meinung kundzutun? »Werden die Hunde nichtmit dem größten Haß nach seinen Überresten suchen, um ihn zu entehren? Niemand darf wissen, wo er begraben ist. Willst du, daß die Ketzer seinen Leichnam finden, Beatinho?«
    Der Beatinho spürt seine Zähne klappern wie im Fieber. Ja, ja, in seinem Verlangen, den geliebten Meister zu ehren und ihm eine Totenwache und ein Begräbnis zu geben, die seiner erhabenen Größe gebühren, hat er vergessen, daß die Hunde kaum ein paar Schritte weit entfernt sind und daß sie sich in der Tat wie reißende Wölfe auf die sterbliche Hülle stürzen werden. Ja, nun begreift er mit einemmal – als ginge die Decke auf und ein blendendes Licht mit dem Heiligen Geist in der Mitte erleuchte ihn –, weshalb ihn der Vater gerade jetzt zu sich genommen hat und was die Pflicht der Apostel ist: seine Überreste zu hüten und zu verhindern, daß der Teufel

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