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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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überquert, um das Lager von hinten anzugreifen. Was veranlaßt Pajeú, mit zwanzig oder dreißig Leuten in ein Feldlager mit fünfhundert Soldaten zu kommen? Der ganze vom Fünften Infanterieregiment besetzte Sektor ist nun Aufruhr, Gerenne, Geschieße. Er ist verzweifelt. Was wird aus ihm werden? Was soll er sagen, wenn sie ihn fragen, warum er nicht Alarm geschlagen, geschossen, geschrien oder sonstwas getan hat, als sie Leopoldinho getötet haben? Wer erlöst ihn von einer neuen Tracht Prügel?
    Blind vor Wut scheuert er sein Gewehr, und der Schuß geht los. Er streift seine Nase und hinterläßt brennenden Pulvergeschmack. Daß seine Waffe wieder funktioniert, ermutigt ihn, gibt ihm den Optimismus zurück, den er, anders als andere, in all diesen Monaten nicht verloren hat, nicht einmal, als so viele Kameraden gefallen sind und sie solchen Hunger ausgestanden haben. Ohne zu wissen, was er tun soll, läuft er querfeldein auf den blutigen Rabatz zu, den die Jagunços in der Tat veranstaltet haben, und dabei schießt er die restlichen vier Schuß in die Luft, weil er sich sagt, daß ein heißgeschossener Gewehrlauf immerhin ein Beweis ist, daß er nicht geschlafen, daß er geschossen hat. Er stolpert und fällt der ganzen Länge nach hin. »Leopoldinho?« sagt er. »Leopoldinho?« Er tastet den Boden ab, vor sich und hinter sich, seitlich.
    Ja, er ist es. Er berührt ihn, schüttelt ihn. Verflucht sollen sie sein. Vor Abscheu spuckt er aus, unterdrückt einen Brechreiz. Sie haben ihm die Kehle durchgeschnitten wie einem Schaf, wenn er ihn unter den Achseln faßt und hochhebt, baumelt sein Kopf wie bei einer Marionette. »Schurken, Schurken«, sagt er, und ohne daß ihn das ablenkt von dem Schmerz und dem Zorn über den Tod seines Kameraden, fällt ihm ein, daß er, wenn er mit der Leiche ins Lager kommt, Hauptmann Oliveira davon überzeugen wird, daß er nicht geschlafen hat, als die Banditen kamen, daß er mit ihnen gekämpft hat. Langsam, schwankend mit Leopoldinho, den er auf dem Rücken hat, geht er weiter und hört unter den Schüssen und dem Rennen im Lager dasschrille, durchdringende Krächzen eines unbekannten Vogels, das sich mehrmals wiederholt. Die Pfeifen. Was sollen sie? Warum kommen die schuftigen Fanatiker ins Lager und schmeißen erst Bomben und blasen dann auf den Pfeifen? Er taumelt unter der Last und fragt sich, ob er nicht lieber stehenbleiben und ausruhen soll.
    Je näher er an die Baracken kommt, desto deutlicher sieht er, was für ein Chaos dort herrscht: die Soldaten, aus dem Schlaf gerissen durch die Explosionen, schießen kreuz und quer, und auch das Rufen und Brüllen der Offiziere kann keine Ordnung schaffen. In diesem Augenblick schüttelt sich Leopoldinho. Der Soldat Queluz erschrickt dermaßen, daß er ihn losläßt. Er wirft sich neben ihm zu Boden. Nein, er lebt nicht. Wie dumm er ist! Was ihn geschüttelt hat, war der Einschlag eines Geschosses. Schon zweimal in dieser Nacht hast du mir das Leben gerettet, Leopoldinho, denkt er. Diesen Schnitt durch die Kehle hätten sie ihm verpassen, diese Kugel hätte ihn treffen können. Danke, Leopoldinho, denkt er. Er liegt auf dem Boden, er denkt, daß es der Gipfel wäre, wenn er von den Soldaten des eigenen Regiments abgeknallt würde, er ist wieder lustlos, wieder wirr im Kopf, weiß nicht, ob er hierbleiben soll, bis die Schießerei nachläßt, oder ob er versuchen soll, koste es, was es wolle, die Baracke zu erreichen.
    An diesem Zweifel kaut er, als er in der Dunkelheit, die sich über den Bergen in einem bläulichen Schimmer aufzulösen beginnt, zwei Gestalten auf sich zukommen sieht. Er will um Hilfeschreien, als ein Verdacht ihm den Schrei im Hals stecken läßt. Die Augen brennen ihm, so angestrengt schaut er, ob die Gestalten Uniformen tragen, aber es ist nicht hell genug, um es erkennen zu können. Er hat das Gewehr abgenommen, das er geschultert hatte, Patronen aus der Tasche geholt, die Waffe geladen und gescheuert, als die Gestalten schon ganz nahe sind: keiner von beiden ist ein Soldat. Er schießt aus nächster Nähe auf den, der das bessere Ziel bietet, und gleichzeitig mit dem Schuß hört er das tierische Schnauben und den Aufschlag des zu Boden fallenden Körpers. Und wieder versagt sein Gewehr: er drückt auf den Abzug, und der gibt keinen Millimeter nach.
    Fluchend springt er zur Seite, während er gleichzeitig mit beiden Händen das Gewehr hochreißt und auf den zweitenJagunço schlägt, der sich nach einer Sekunde

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