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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Der schaut ihn an, stehtauf. Er sieht – und das Herz hüpft ihm vor Freude –, daß sich das Gesicht des Oberst entspannt, daß er sich Mühe gibt, ihn anzulächeln. Dankbar lächelt er zurück.
    »Also du hast ihn erlegt«, sagt der Oberst.
    »Ja, Exzellenz«, antwortet Queluz und steht stramm.
    »Dann führ die Arbeit zu Ende«, sagte Oberst Madeiros und streckt ihm mit einer energischen Bewegung den Säbel hin.
    »Stich ihm die Augen aus und schneide ihm die Zunge ab. Dann reißt du ihm den Kopf ab und wirfst ihn über die Barrikade, damit die noch lebenden Banditen wissen, was sie erwartet.«

VI
    Als der kurzsichtige Journalist endlich gegangen war, entdeckte Baron de Canabrava, der ihn auf die Straße begleitet hatte, daß es spät in der Nacht war. Nachdem er abgesperrt hatte, lehnte er sich mit dem Rücken an das schwere Portal, schloß die Augen und versuchte, das Gebrodel wirrer und greller Bilder aus seinem Kopf zu verscheuchen. Ein Diener kam beflissen mit einer kleinen Lampe. Wünschte der Baron, daß ihm das Abendessen aufgewärmt werde? Er verneinte, und ehe er ihn schlafen schickte, fragte er noch, ob Estela zu Nacht gegessen habe. Ja, schon vor geraumer Zeit, danach habe sie sich zur Ruhe begeben.
    Wie ein Schlafwandler, auf seine hallenden Schritte horchend, kehrte Baron de Canabrava, statt in sein Schlafzimmer zu gehen, in sein Arbeitszimmer zurück. In der stickigen Luft dieses Raumes roch, sah er, schwebend wie Flocken, die Worte dieses langen Gesprächs, das, wie ihm jetzt vorkam, weniger ein Dialog als zwei unberührbare Monologe gewesen war. Er würde den kurzsichtigen Journalisten nicht wiedersehen, er würde nicht wieder mit ihm sprechen. Er würde nicht zulassen, daß er noch einmal diese monströse Geschichte heraufbeschwor, in der sein Besitz, seine politische Macht, seine Frau untergegangen waren. »Nur sie ist wichtig«, murmelte er. Ja, alle anderen Verluste hätte er verwinden können. Für die Jahre, die er noch zu leben hatte, zehn, fünfzehn Jahre? reichte, was er besaß, um den Lebensstil fortzusetzen, den er gewohnt war. Daß dieser Stil mit ihm endete, war nicht wichtig: hatte er Erben, für deren Zukunft er sorgen mußte? Und was die politische Macht betraf, so war er im Grunde froh, dieser Last enthoben zu sein. Die Politik war eine Aufgabe gewesen, die er nur wegen der Unfähigkeit der anderen, ihrer maßlosen Dummheit, Nachlässigkeit oder Korruption, übernommen hatte, und nicht aus innerer Berufung: sie hatte ihn immer gestört und gelangweilt, war ihm immer als ein abgeschmacktes und deprimierendes Geschäft erschienen, da sie deutlicher als jede andere Tätigkeit die menschliche Jämmerlichkeit offenbarte. Zudem hegte er einen heimlichen Groll auf die Politik, diesezeitraubende Beschäftigung, weil er ihr die wissenschaftlichen Neigungen geopfert hatte, die er schon als Kind, bei der Schmetterlingsjagd und dem Anlegen von Herbarien, in sich gespürt hatte. Die Tragödie, mit der er sich niemals abfinden würde, war Estela. Canudos, diese alberne, unbegreifliche, von blinden, halsstarrigen Menschen und widersprüchlichen Fanatismen inszenierte Geschichte war schuld an dem, was Estela zugestoßen war. Sie hatte sie abgeschnitten von der Welt und würde die Bande nicht wieder knüpfen. Niemand und nichts würde ihm diese Episode noch einmal ins Gedächtnis rufen. Ich werde veranlassen, daß er in der Zeitung eine Arbeit bekommt, dachte er. Korrekturlesen, Gerichtsberichterstattung, irgend etwas Mittelmäßiges, wie es ihm entspricht. Aber ihn empfangen oder anhören werde ich nicht mehr. Und wenn er dieses Buch über Canudos schreibt, das er natürlich nie schreiben wird, werde ich es nicht lesen.
    Er ging an den Getränkeschrank und schenkte sich ein Glas Cognac ein. Während er in dem bequemen Ledersessel saß, aus dem er ein Vierteljahrhundert lang das politische Leben von Bahia geleitet hatte, und das Getränk in seinen Handflächen wärmte, hörte Baron de Canabrava im Garten die harmonische Grillensymphonie, der von Zeit zu Zeit ein mißtönender Fröschechor respondierte. Was beunruhigte ihn so? Woher kam diese Ungeduld, dieses Kribbeln im Körper, als stünde er im Begriff, etwas Dringendes zu vergessen, als würde sich in diesen Sekunden etwas Unwiderrufliches und Entscheidendes in seinem Leben ereignen? Noch immer Canudos?
    Er war es nicht losgeworden. Da war es wieder. Aber das Bild, das aggressiv vor seinem inneren Auge Kontur und Farbe annahm, war nichts,

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