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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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ausquetschte. »Hat er wieder mal eine Erleuchtung gehabt?«
    »Sicher«, sagte der Feuerwerker.
    Der Zwerg versuchte sich die Szene vorzustellen, das kleine, blasse Gesicht, die brennenden Augen des Beatinho, als er mit seiner weißen Fahne zurückkam in die belagerte Stadt, zu den Toten, den Trümmern, den Verwundeten, den Kämpfenden, den brennenden Häusern und – zu den Ratten, die, wie der Feuerwerker erzählte, plötzlich von allen Seiten kamen und gierig über die Leichen herfielen.
    »Sie sind einverstanden«, sagte der Beatinho, »sie dürfen sich ergeben.«
    »Einer hinter dem andern, ohne Waffen, die Hände auf dem Kopf, so sollten wir aus der Stadt gehen«, sagte der Feuerwerker in einem Ton, als gebe er einen hirnverbrannten Einfall oder das Geschwafel eines Betrunkenen wieder. »Sie würden uns als Gefangene betrachten und uns nicht töten.«
    Der Zwerg hörte ihn seufzen. Er hörte auch einen der Vilanova seufzen, und es schien ihm, daß eine der Sardelinhas weinte. Es war seltsam: die Frauen der Vilanova, die der Zwerg so leicht verwechselte, weinten nie gleichzeitig, sondern erst die eine, dann die andere. Aber sie taten es erst, seit Antônio Fogueteiro an diesem Nachmittag die Fragen Antônio Vilanovas beantwortete; auf der Flucht aus Belo Monte und solange sie hier versteckt lagen, hatte er sie nicht weinen sehen. Er zitterte so, daß ihm Jurema den Arm um die Schultern legte und ihmkräftig den Körper rieb. Zitterte er so wegen der Kälte, die in Caçabú herrschte, weil ihn der Hunger krank gemacht hatte, oder kam dieses Zittern von dem, was der Feuerwerker erzählte?
    »Beatinho, Beatinho, weißt du denn, was du sagst?« schrie João Grande. »Weißt du, was du verlangst? Willst du im Ernst, daß wir die Waffen wegwerfen und uns, die Hände auf dem Kopf, den Freimaurern ergeben? Das willst du, Beatinho?«
    »Nicht du«, sagte die Stimme, die immer klang, als ob sie bete.
    »Die Unschuldigen, die Kleinen, die Gebärenden, die alten Leute. Ihr Leben soll verschont werden, du kannst das nicht für sie entscheiden. Wenn du sie hinderst, sich zu retten, ist es, als ob du sie töten würdest. Du lädtst Schuld auf dich, du bringst unschuldiges Blut auf dein Haupt, João Grande.«
    »Er sagte, der Ratgeber spräche aus seinem Mund«, fügte der Feuerwerker hinzu. »Von ihm hätte er diese Eingebung, er hätte ihm aufgetragen, sie zu retten.«
    »Und João Abade?« fragte Antônio Vilanova.
    »Er war nicht da«, sagte der Feuerwerker. »Der Beatinho kam über die Barrikade in der Madre Igreja nach Belo Monte zurück. João Abade stand in der Santo Eloi. Sie schickten nach ihm, aber er kam lange nicht. Er war dabei, die Barrikade zu verstärken, die von allen die schwächste war. Als er kam, waren sie schon unterwegs hinter dem Beatinho: Frauen, Kinder, Alte und Kranke, die sich kaum auf den Beinen halten konnten.«
    »Und keiner hat sie zurückgehalten?« fragte Antônio Vilanova.
    »Keiner hat es gewagt«, sagte der Feuerwerker. »Es war der Beatinho, der Beatinho. Nicht jemand wie du oder wie ich, sondern jemand, der den Ratgeber von Anfang an begleitet hat. Es war der Beatinho. Hättest du zu ihm gesagt: Du bist verrückt, du weißt nicht, was du tust? Weder João Grande hat es gewagt noch ich, noch sonst jemand.«
    »Aber João Abade hat es gewagt«, sagte Antônio Vilanova leise.
    »Klar«, sagte der Feuerwerker. »João Abade hat es gewagt.«
    Der Zwerg fühlte Eiseskälte in seinen Knochen, und seine Stirn brannte. Mühelos spielte er im Geist die Szene nach: Jagdmesser und Machete im Gürtel, das Gewehr geschultert, die Kugelketten auf der Brust, erschien die hohe, biegsame, kräftige Gestalt des ehemaligen Cangaceiro, nicht müde, sondern jenseits aller Müdigkeit. Da stand er und sah den unbegreiflichen Zug der Schwangeren, der Kinder und Alten und Invaliden, all diese Wiederauferstandenen, die mit den Händen auf dem Kopf den Soldaten entgegengingen. Er stellte es sich nicht vor, er sah es, deutlich und farbig, wie eine Vorstellung im Zirkus des Zigeuners, eine aus guten Zeiten, als er noch ein großer, blühender Zirkus war. Er sah João Abade:
    »Halt! Halt!« schrie er, außer sich, blickte nach links, nach rechts, machte den Ergebungswilligen Zeichen und versuchte sie zurückzuhalten. »Seid ihr wahnsinnig geworden? Halt! Halt!«
    »Wir erklärten es ihm«, sagte der Feuerwerker. Weinend sagte es ihm João Grande, der sich verantwortlich fühlte. Auch Pedrão und Pater Joaquim und

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