Der Krieg am Ende der Welt
veranlaßte: »Endlich! Ich habe zu gemütlich gelebt, das macht den Geist stumpf.«Es geschah am Vorabend seiner Abreise, bei Einbruch der Dunkelheit. Jan van Rijsted trat in die Kammer, seine Dämmerpfeife in der Hand, um ihm zu sagen, daß zwei Kerle nach ihm fragten. »Zwei Capangas«, warnte er ihn. Galileo wußte, was Capangas waren: Männer, die von den Reichen und Hochgestellten zu undurchsichtigen Dienstleistungen benutzt wurden, und die Kerle sahen in der Tat verdächtig aus. Doch waren sie unbewaffnet und gaben sich respektvoll: Jemand wünsche ihn zu sehen. Durfte man erfahren, wer? Man durfte nicht. Neugierig ging er mit ihnen. Von der Praça da Catedral Basílica führten sie ihn durch die ganze Oberstadt, dann durch die Unterstadt, dann in die Außenbezirke. Als sie in der Dunkelheit die Pflasterstraßen hinter sich ließen – die Rua Conselheiro, die Rua Dantas, die Rua Portugal, die Rua das Princesas –, schließlich auch die Märkte von Santa Barbara und Säo João und sie mit ihm den Fahrweg beschritten, der am Meer entlang nach Barra führte, fragte sich Galileo Gall, ob die Obrigkeit nicht beschlossen habe, ihn lieber umzubringen, als auszuweisen. Aber es war keine Falle. In einem Wirtshaus, in dem eine Kerosinlampe brannte, erwartete ihn der Direktor des Jornal de Notícias. Epaminondas Gonçalves reichte ihm die Hand und lud ihn ein, Platz zu nehmen. Ohne Umschweife kam er zur Sache.
»Möchten Sie trotz der Ausweisung in Brasilien bleiben?«
Galileo sah ihn an, ohne zu antworten.
»Ist Ihre Begeisterung für das, was in Canudos passiert, echt?« fragte Epaminondas Gonçalves. Sie saßen allein in dem Raum, draußen hörte man die Unterhaltung der Capangas und das eintönige Rauschen des Meers. Der Führer der Progressiven Republikanischen Partei beobachtete ihn ernst, während er mit den Absätzen auf den Boden trommelte. Er trug den grauen Anzug, den Galileo im Büro des Jornal de Notícias an ihm gesehen hatte, aber Sorglosigkeit und Spottlust waren aus seinem Gesicht verschwunden. Er sah gespannt aus, eine Stirnfalte ließ sein jugendliches Gesicht alt erscheinen. »Ich mag Geheimnisse nicht«, sagte Gall. »Besser, Sie erklären mir, worum es geht.«
»Darum, ob Sie nach Canudos reisen und den Aufständischen Waffen bringen wollen.«Galileo wartete eine Weile, ohne etwas zu sagen, und hielt dem Blick seines Gesprächspartners stand.
»Vor zwei Tagen hatten Sie noch keinerlei Sympathie für die Aufständischen«, meinte er langsam. »Fremdes Land zu besetzen und in Promiskuität zu leben, erschien Ihnen als etwas Tierisches.«
«Das ist die Ansicht der Progressiven Republikanischen Partei«, stimmte Epaminondas Gonçalves zu. »Und auch meine, versteht sich.«
»Aber ...«, half ihm Gall und schob den Kopf ein wenig vor. »Aber die Feinde unserer Feinde sind unsere Freunde«, behauptete Epaminondas Gonçalves und stellte das Trommeln mit den Absätzen ein. »Bahia ist ein Bollwerk rückständiger Grundbesitzer, die im Herzen Monarchisten geblieben sind, obwohl wir seit acht Jahren eine Republik haben. Wenn es nötig ist, die Banditen und Sebastianiten im Landesinneren zu unterstützen, um die Diktatur des Barons de Canabrava zu beenden, werde ich das tun. Wir werden immer rückständiger und ärmer. Man muß diese Leute um jeden Preis von der Macht vertreiben, ehe es zu spät ist. Wenn sich die Sache mit Canudos in die Länge zieht, wird eine Krise der Regierung Viana unvermeidlich, und früher oder später wird die Bundesregierung eingreifen. Sobald aber Rio de Janeiro eingreift, hört Bahia auf, das Erbland der Autonomisten zu sein.«
»Und wird statt dessen das Königreich der Progressiven Republikaner«, murmelte Gall.
»Wir glauben nicht an Könige, wir sind durch und durch Republikaner«, berichtigte ihn Epaminondas Gonçalves. »Schön, ich sehe, Sie verstehen mich.«
»Das eine verstehe ich«, sagte Galileo. »Aber das andere nicht. Wenn die Progressive Republikanische Partei die Jagunços bewaffnen will: warum durch mich?«
»Die Progressive Republikanische Partei will mit Leuten, die sich gegen das Gesetz auflehnen, keinerlei Kontakt haben, noch weniger ihnen helfen«, sagte Silbe um Silbe Epaminondas Gonçalves.
»Also S. Exz. der Herr Abgeordnete Epaminondas Gonçalves«, sagte Galileo Gall. »Warum durch mich?«
»S. Exz. der Herr Abgeordnete Epaminondas Gonçalves kannkeine Aufständischen unterstützen«, syllabierte der Direktor des Jornal de Notícias, »noch
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