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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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in der Schulter weiterkämpfte, bis er ohnmächtig zusammenbrach. Seine Männer legten ihn in eine Hängematte und begannen den Aufstieg in die Serra. Dank einem plötzlich einsetzenden Wolkenbruch durchbrachen sie die Umzingelung. Sie flohen in eine Höhle und begaben sich vier Tage später nach Tepidó, wo ein Heilkundiger João das Fieber senkte und das seinen Wunden entströmende Blut stillte. Dort lagen sie zwei Wochen; so lange brauchte João, um wieder gehen zu können. In der Nacht, in der sie von Tepidó aufbrachen, erfuhren sie, daß Hauptmann Macedo den Leichen der in Rosario gefallenen Männer die Köpfe abgeschnitten und sie eingesalzen wie Dörrfleisch in einem Faß mit sich fortgenommen hatte.
    Sie stürzten sich wieder in das gewalttätige Leben, ohne allzuviel über ihren guten Stern und den Unstern der anderen nachzudenken. Wieder gingen sie, raubten sie, kämpften sie, versteckten sich und lebten das Leben, das nur an einem Faden hing. João Satanás hatte immer ein undefinierbares Gefühl in der Brust, die Gewißheit, daß jetzt gleich, daß jeden Augenblick das geschehen würde, was er erwartete, solange er zurückdenken konnte.
    Auf einer Umgehung der Straße, die nach Casanção führte, tauchte die halbverfallene Einsiedelei auf. Vor einem halben Hundert Zerlumpter sprach ein dunkelhäutiger, großgewachsener Mann in violettem Gewand. Er unterbrach seine Ansprache nicht, warf auch keinen Blick auf die Neuangekommenen. João fühlte, daß etwas Schwindelerregendes in seinem Hirn brodelte, während er hörte, was der Heilige sagte. Er erzählte die Geschichte eines Sünders, der jede nur erdenkliche Untat beging, dann aber alle Sünden bereute, wie ein Hund auf allen vieren lief, endlich bei Gott Vergebung erlangte und in den Himmel kam. Als er die Geschichte zu Ende erzählt hatte, ging er auf João zu, der den Blick gesenkt hielt. »Wie heißt du?« fragte er ihn. »João Satanás«, murmelte der Cangaceiro. »Besser, du nennst dich João Abade, das heißt, der Apostel des guten Jesus«, sagte die heisere Stimme ...
    Drei Tage, nachdem er den Brief über seinen Besuch bei Frei Evangelista de Monte Marciano an L’Etincelle de la révolte geschickt hatte, hörte Galileo Gall in seiner Kammer über der Buchhandlung Catilina jemand an die Tür klopfen. Kaum hatte er die Kerle gesehen, wußte er, daß es Sbirren der Polizei waren. Sie verlangten seine Papiere zu sehen, durchsuchten, was er hatte, befragten ihn über seine Tätigkeiten in Salvador. Am nächsten Tag erhielt er seine Ausweisung als unerwünschter Ausländer. Der alte Jan van Rijsted setzte sich für ihn ein, Doktor José Batista de Sá Oliveira schrieb an den Gouverneur Luiz Viana und bot sich als Bürgen an, doch die Behörde blieb hart und teilte ihm mit, er habe in einer Woche auf der Marseillaise Brasilien in Richtung Europa zu verlassen. Eine Überfahrt Dritter Klasse erhielt er kostenlos. Seinen Freunden sagte Gall, verbannt zu werden – oder eingekerkert oder getötet – sei das Risiko jedes Revolutionärs, er lebe mit diesem Brot seit seiner Kindheit. Er sei sicher, daß der englische oder der französische oder der spanische Konsul hinter dem Ausweisungsbefehl stecke, aber in keinem dieser drei Länder werde die Polizei ihn zu fassen bekommen, er werde auf einer der afrikanischen Zwischenstationen der Marseillaise oder in Lissabon verduften. Er schien sich keine Sorgen zu machen.
    Sowohl Jan van Rijsted als auch Doktor Oliveira hatten ihn begeistert von seinem Besuch im Kloster Nossa Senhora da Piedade erzählen hören, aber beide waren sprachlos, als er ihnen verkündete, angesichts seines bevorstehenden Hinauswurfs aus Brasilien wolle er noch »etwas für die Brüder in Canudos« tun, er werde zu einem öffentlichen Akt der Solidarität aufrufen. Er werde sich an die Freunde der Freiheit wenden, die es in Bahia gebe, und ihnen erklären: »In Canudos entsteht spontan eine Revolution, und fortschrittlich denkende Menschen müssen sie unterstützen.« Jan van Rijsted und Doktor Oliveira versuchten ihn davon abzubringen und führten ihm wiederholt das Unsinnige eines solchen Vorgehens vor Augen, doch Gall unternahm wenigstens den Versuch, seinen Aufruf in der einzigen Zeitung der Opposition zu veröffentlichen. Sein Fehlschlag im Jornal de Notícias entmutigte ihn nicht. Er erwog die Möglichkeit, Flugblätter drucken zu lassen, die er selbst in den Straßen verteilen würde, als etwas geschah, was ihn zu dem Ausruf

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