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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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eine Abmachung gehabt hat. Und an seinen Brüdern in Canudos, einen Verrat an der Klasse.«
    Jurema lächelt ihn an, als verstünde oder hörte sie nicht. Sie ist über den Herd gebeugt, bringt irgend etwas zum Kochen. Sie ist jung, das Gesicht glatt und glänzend, sie trägt ein ärmelloses Kleid und das Haar offen, geht barfuß und ihre Augen sind noch verklebt vom Schlaf, aus dem Gall sie vor kurzem aufgeschreckt hat. Ein schwaches Morgenlicht stiehlt sich zwischen den Latten in die Hütte. Eine Öllampe ist da, in einem Winkel zwischen Schüsseln, Geräten, Kisten und einem Holzhaufen schlafen Hühner, an der Wand hängt ein Bild von Nossa Senhora da Lapa. Ein wuscheliges Hündchen springt Jurema um die Füße und kommt immer wieder, obwohl sie es mit Fußtritten verjagt. In einer Hängematte sitzend, keuchend von der Anstrengung, eine ganze Nacht lang im Rhythmus des Ledermannes zu reiten, der ihn mit den Waffen nach Queimadas zurückgebracht hat, beobachtet Galileo sie voll Zorn. Jurema, eine dampfende Schüssel in den Händen, geht auf ihn zu. Reicht sie ihm.
    »Er hat gesagt, er ginge nicht mit den Eisenbahnern von Jacobina«, murmelt Gall, die Schüssel haltend, und sucht die Augen der Frau. »Warum hat er es sich anders überlegt?«
    »Er wollte nicht gehen, weil sie ihm nicht zahlen wollten, was er verlangt hat«, antwortet Jurema sanftmütig und bläst auf die Schüssel in seinen Händen. »Er hat es sich anders überlegt, als sie kamen und sagten, sie würden es ihm doch zahlen. Er war gestern in Ihrer Pension, aber Sie waren weggegangen, ohne zu sagen, wohin, und ob Sie zurückkämen. Rufino konnte sich diese Arbeit nicht entgehen lassen.«
    Galileo seufzt bedrückt. Er entschließt sich, einen Schluck aus der Schüssel zu trinken, verbrennt sich den Gaumen, verzieht das Gesicht. Blasend nimmt er noch einen Schluck. Die Müdigkeit und der Unwillen haben Falten in seine Stirn gegraben, seine Augen sind dunkel gerändert, von Zeit zu Zeit beißt er sich auf die Unterlippe. Er keucht, er schwitzt.
    »Wie lange dauert diese verfluchte Reise?« knurrt er.»Drei oder vier Tage.« Jurema hat sich ihm gegenüber auf die Kante eines alten, mit Riemen geschlossenen Koffers gesetzt.
    »Er sagte, Sie sollten auf ihn warten. Wenn er zurückkommt, führt er Sie nach Canudos.«
    »Drei oder vier Tage!« Gall verdreht erbittert die Augen. »Drei oder vier Jahrhunderte, willst du sagen.«
    Draußen hört man Schellengeläut, der kleine wuschelige Hund bellt aus Leibeskräften und springt gegen die Tür, er möchte hinaus. Galileo steht auf, tritt an die Latten und blinzelt nach draußen: der Karren steht, wo er ihn hingestellt hat, am Pferch neben dem Haus, in dem ein paar Schafe stehen. Die Tiere haben die Ohren gespitzt, sind jedoch ruhig, ihre Glocken bimmeln nicht mehr. Die Hütte steht auf einem Bergvorsprung, bei Sonne sieht man von hier aus Queimadas; aber an diesem grauen Morgen, bei verhangenem Himmel, nicht, nur die wellenförmige Steinwüste. Galileo setzt sich wieder. Jurema schöpft ihm noch einmal die Schüssel voll. Das wuschelige Hündchen bellt und scharrt neben der Tür die Erde auf.
    Drei oder vier Tage, denkt Gall. Drei oder vier Jahrhunderte, in denen sich tausend Zwischenfälle ereignen können. Soll er sich einen anderen Führer suchen? Soll er allein nach Monte Santo und dort einen Spurenleser nach Canudos verpflichten? Alles, nur nicht mit den Waffen hierbleiben: die Ungeduld würde das Warten unerträglich machen, und es könnte auch sein, wie Epaminondas Gonçalves befürchtet hat, daß die Expedition von Major Brito vor ihm in Queimadas ankommt.
    »Bist nicht du schuld, daß Rufino mit den Eisenbahnern von Jacobina gegangen ist?« murmelt Gall. Jurema löscht eben mit einem Stecken das Herdfeuer. »Dir hat es von Anfang an nicht gepaßt, daß mich Rufino nach Canudos führt.«
    »Es hat mir nicht gepaßt«, gibt sie mit solcher Bestimmtheit zu, daß Gall für einen Augenblick seine Wut in sich zusammenfallen fühlt und Lachlust verspürt. Doch sie ist ganz ernst und sieht ihn an, ohne zu zwinkern. Sie hat ein langes Gesicht, unter der Haut springen die Backen- und Kieferknochen hervor. Ob auch die unterm Haar verborgenen Knochen so sind: vorspringend, klar umrissen, beredt, verräterisch? »Sie haben die Soldaten in Uauá umgebracht«, fügt Jurema hinzu. »Alle sagen, daß noch mehr Soldaten nach Canudos kommen. Ichwill nicht, daß sie ihn umbringen oder festnehmen. Gefangenschaft hält er

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