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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Gall sieht Jurema den Stock nehmen, mit dem sie das Feuer gelöscht hat, und rasch an die Tür gehen. Zerstreut, immer noch in Gedanken an den Emissär von Canudos, an das Gespräch mit ihm, das vielleicht einfacher gewesen wäre, wenn er gewußt hätte, daß er einen ehemaligen Banditen vor sich hatte, sieht er, wie sich Jurema gegen den Querbalken stemmt, ihn hochhebt, und im gleichen Augenblick sagt ihm etwas Ungreifbares, ein Geräusch, eine Intuition, ein sechster Sinn, der Zufall, was jetzt geschehen wird. Denn als Jurema plötzlich nach hinten geschleudert wird von der Heftigkeit, mit der die Tür – unter Fausthieben oder Fußtritten von außen – aufspringt und die Silhouette eines Mannes mit Karabiner auf der Schwelle erscheint, hat Gall seinen Revolver bereits gezogen und zielt auf den Eindringling. Der Schuß aus dem Karabiner weckt die Hühner in ihrem Winkel, die erschrocken aufflattern, während Jurema, die gefallen, aber von der Kugel nicht getroffen ist, laut aufkreischt. Als der Angreifer eine Frau vor seinen Füßen liegen sieht, zögert er, braucht ein paar Sekunden, um im Geflatter der aufgescheuchten Hühner Gall zu finden. Als er den Karabiner auf ihn richtet, hat Galileo, der ihn blöde ansieht, bereits geschossen. Der Eindringling läßt den Karabiner fallen und weicht, nach Luft schnappend, zurück. Wieder schreit Jurema auf. Endlich reagiert Gall und läuft auf den Karabiner zu. Er bückt sich, um ihn aufzuheben, und da sieht er durch die Türöffnung den Verwundeten, der sich stöhnend auf dem Boden windet, und dahinter einen zweiten Mann, der mit erhobenem Karabiner herbeiläuft und dem Verwundeten etwas zuruft, und dahinter einen dritten Mann, der dem Wagen mit den Waffen ein Pferd vorspannt. Fast ohne zu zielen, schießt er. Der Laufende wirft ein Bein nach vorn und rollt brüllend über den Boden, und Galileo schießt noch einmal auf ihn. Er denkt: Noch zwei Kugeln. Er sieht Jurema neben sich stehen, zur Tür gehen, den Querbalken vorlegen und sich im hintersten Winkel der Hütte verkriechen. Er steht auf, sich fragend, in welchem Augenblick er zu Boden gefallen ist. Er ist voll Erde, schwitzt, klappert mit den Zähnen und hält so krampfhaft den Revolver umklammert, daß ihn die Finger schmerzen. Er späht zwischen den Latten durch: der Karren mit den Waffen verschwindet inder Ferne in einer Staubwolke, und vor der Hütte bellt der kleine Hund wie wahnsinnig die zwei verwundeten Männer an, die auf den Schafpferch zu kriechen. Gezielt schießt er die zwei letzten Kugeln in seinem Revolver auf sie ab und meint, unter dem Gebell und dem Geläut der Schafsglocken menschliches Aufbrüllen zu hören. Ja, er hat getroffen: regungslos liegen sie auf halbem Weg zwischen der Hütte und dem Pferch. Jurema kreischt noch immer und die Hühner gackern wie wild, in alle Richtungen fliegen sie, werfen Gegenstände um, prallen gegen die Latten, gegen seinen Leib. Er verscheucht sie mit Püffen und späht abermals aus, nach links, nach rechts. Lägen da nicht die beiden Körper, einer halb über dem andern, könnte man meinen, daß nichts geschehen ist. Tief Atem holend stolpert er zwischen den Hühnern an die Tür. Durch die Ritzen sieht er die einsame Landschaft, die Körper, die ein L bilden. Er denkt: Sie haben die Gewehre mitgenommen. Er denkt: Schlimmer wäre es, tot zu sein. Er keucht, die Augen weit aufgerissen. Endlich schiebt er den Querbalken weg und drückt die Tür auf. Nichts. Niemand.
    Halb geduckt läuft er zu der Stelle, wo der Karren gestanden hat. Er hört das Gebimmel der Schafe, die im Pferch hin und her laufen, aufeinander zu, aneinander vorbei. Er spürt die Angst im Magen, im Nacken: eine Staubfontäne verschwindet am Horizont in Richtung Riacho da Onça. Er atmet tief, streicht sich über den roten Spitzbart, noch immer klappern ihm die Zähne. Das Maultier, das an einem Pflock festgebunden ist, steht lammfromm da. Langsam kehrt er ins Haus zurück. Vor den gefallenen Körpern bleibt er stehen: zwei Leichen. Forschend betrachtet er die unbekannten, verwitterten Gesichter, ihre Grimassen. Plötzlich verzerren sich seine Züge in einem Anfall von Wut, und unter Beschimpfungen beginnt er die leblosen Formen grausam mit Füßen zu treten. Sein Zorn überträgt sich auf den Hund, der bellt, springt, sich in die Sandalen der zwei Männer verbeißt. Endlich beruhigt sich Galileo. Schleppend kehrt er in die Hütte zurück. Dort empfängt ihn Hühnergeflatter, so daß er die Hände

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