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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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nicht aus. Er muß sich ständig bewegen. Seine Mutter sagt immer: ›Du hast den Veitstanz.‹«
    »Den Veitstanz«, sagt Gall.
    »Das sind die, die nicht stillhalten können«, erklärt Jurema.
    »Die herumspringen, als ob sie tanzen würden.«
    Wieder bellt der Hund, wütend. Jurema geht an die Tür, öffnet und stößt ihn mit einem Fußtritt hinaus. Man hört sein Bellen, draußen, und wieder das Schellenläuten. Mit Grabesmiene verfolgt Galileo die Bewegungen Juremas, die wieder an den Herd geht und mit einem Stecken in der Glut stochert. Ein dünner Rauchfaden löst sich in Spiralen auf.
    »Und außerdem gehört Canudos dem Baron, und der Baron hat uns immer geholfen«, sagt Jurema. »Das Haus, die Felder, die Schafe, alles verdanken wir dem Baron. Und Sie stehen auf der Seite der Jagunços, Sie wollen ihnen helfen. Sie nach Canudos führen heißt soviel, wie denen dort helfen. Glauben Sie, der Baron hätte es gern, daß Rufino den Leuten hilft, die ihm seine Fazenda weggenommen haben?«
    »Natürlich hätte er das nicht gern«, knurrt Gall spöttisch. Wieder bimmeln die Glocken der Schafe, stärker als vorhin, und erschrocken springt Gall auf und ist mit zwei großen Schritten an den Latten. Er schaut hinaus: auf der weißen Fläche beginnen sich die Bäume, die Kakteen, die Felsblöcke abzuzeichnen. Dort steht der Karren mit den Packen in wüstenfarbenem Segeltuch und daneben, an einem Pflock festgebunden, sein Maultier.
    »Glauben Sie, daß der gute Jesus den Ratgeber geschickt hat?« sagt Jurema. »Glauben Sie, was er verkündigt? Daß das Meer Sertão und der Sertão Meer wird. Daß die Wasser des Vaza Barris zu Milch werden und die Flußufer zu Maismehl, damit die Armen zu essen haben?«
    In ihren Worten liegt keine Spur Spott, auch nicht in ihren Augen, als Galileo Gall sie ansieht und an ihrem Ausdruck zu erraten sucht, wie sie zu diesem Gerede steht. Es gelingt ihm nicht: das lange, glänzende, friedvolle Gesicht, denkt er, ist ebenso undurchdringlich wie das eines Inders oder Chinesen. Oder wie das des Emissärs aus Canudos, mit dem er sich in der Lohgerberei am Itapicurú unterhalten hat.»Bei Hungerleidern ist der Instinkt gewöhnlich stärker als der Glaube«, murmelt er, nachdem er rasch die Schüssel leer getrunken hat, und beobachtet, wie Jurema reagiert. »Sie haben das Eigentum abgeschafft, die Ehe, die gesellschaftlichen Hierarchien, sie lehnen die Autorität der Kirche und des Staates ab, und sie haben eine Kompanie Militär aufgerieben. Sie haben sich gegen die Autorität, das Geld, die Uniform, die Soutane gestellt.«
    Das Gesicht Juremas spricht nicht, kein Muskel bewegt sich darin, ihre dunklen, leicht schräggestellten Augen blicken ihn ohne Neugier, ohne Sympathie, ohne Überraschung an. Ihre Lippen sind an den Mundwinkeln gekräuselt, feucht.
    »Ohne es zu wissen, haben sie den Kampf da wiederaufgenommen, wo wir ihn aufgegeben haben. Sie erwecken die Idee zu neuem Leben«, sagt Gall und fragt sich, was Jurema denken mag. »Deshalb bin ich hier. Deshalb will ich ihnen helfen.«
    Er keucht, als hätte er schreiend gesprochen. Die Müdigkeit der zwei letzten Tage und – schlimmer noch – die Enttäuschung, daß Rufino nicht in Queimadas ist, übermannen ihn wieder, und der Wunsch zu schlafen, sich auszustrecken, die Augen zu schließen, ist so groß, daß er beschließt, sich für ein paar Stunden unter den Karren zu legen. Oder könnte er es auch hier tun, in der Hängematte? Wird ihn Jurema für unverschämt halten, wenn er sie darum bittet?
    »Der Mann, der von dort kam, den der Heilige geschickt hat, der Mann, den Sie gesehen haben – wissen Sie, wer das war?« hört er sie sagen. »Es war Pajeú.« Und da Gall sich nicht beeindruckt zeigt, fügt sie verblüfft hinzu: »Haben Sie nie von Pajeú gehört? Er ist der gottloseste Mensch im ganzen Sertão. Er hat von Raub und Mord gelebt. Wer das Unglück hatte, ihm über den Weg zu laufen, dem hat er Nase und Ohren abgeschnitten.«
    Wieder wird das Schellengeläut laut, dazu das ängstliche Gebell vor der Tür und das Wiehern des Maultiers. Gall denkt an den Emissär von Canudos, die Narbe, die ihm quer übers Gesicht lief, seine sonderbare Ruhe, seine Gleichgültigkeit. War es falsch gewesen, ihm das mit den Waffen nicht zu sagen? Nein, denn damals hätte er sie ihm nicht zeigen können: er hätte ihm nicht geglaubt, wäre noch mißtrauischer geworden, er hätte dasganze Projekt in Gefahr gebracht. Der Hund draußen bellt wie wild,

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