Der Krieg der Ketzer - 2
Genau das war auch in dieser Nacht der Fall, auch wenn der Frühling nun einmal die Jahreszeit war, in der die Rock Shoal Bay noch am ehesten starke Ostwinde erlebte. Doch selbst dann kam der Wind noch eher aus Nordnordost als geradewegs aus dem Osten – das war den schützenden Landmassen von Silber und Emerald zu verdanken.
Die beengte Fahrrinne des Nordkanals mochte Anlass für einige Beunruhigung sein, doch zugleich bedeutete es auch, dass die Lichter der Festungen und vor allem der einhundert Schritt hohe Leuchtturm am höchsten Punkt von Lock Island sehr deutlich zu erkennen waren. Sie boten den Lotsen, die den Galeonen hier vorausfuhren, der Dunkelheit zum Trotz ausgezeichnete Orientierungspunkte für die Navigation, und genau das rief sich Merlin immer und immer wieder ins Gedächtnis zurück, als es Zeit für die Dreadnought wurde, sich ihren Weg zu bahnen.
»Ich nehme an, ich sollte jetzt etwas in der Art von ›Endlich geht es los!‹ sagen«, mutmaßte Cayleb, als die Fahrt schnell genug geworden war, dass sich weiße Schaumkronen um das Schiff herum abzeichneten. Für jemanden, der den Kronprinzen nicht kannte, hätte er erstaunlich ruhig gewirkt.
»Das könntet Ihr«, erwiderte Merlin äußerst ernsthaft. »Aber wenn Ihr das tätet, wären Ahrnahld und ich bedauerlicherweise gezwungen, Euch zu erwürgen und Euren Leichnam über Bord zu werfen.«
Leise lachte Cayleb, und Merlin lächelte.
»Wenigstens hält die Flotte uns nicht für verrückt«, sagte der Prinz dann.
»Das wohl«, stimme Merlin zu. »Tatsächlich denke ich sogar, dass Euer Herr Vater sich eine perfekte Tarngeschichte zurechtgelegt hat.«
»Und die wird Gorjah auch noch so richtig schön viel Ärger einbringen, wenn sie schließlich bis zum Tempel weitergetragen wird«, stellte Cayleb mit einem äußerst zufriedenen Lächeln fest.
»Gibt dem Ganzen noch eine gewisse Würze, nicht wahr?«, setzte Merlin hinzu und lächelte nun ebenfalls über das ganze Gesicht.
Die offizielle Erklärung dafür, dass Haarahld seine Galeonen nun schon in See stechen ließ, lautete, dass einer der Spione im Dienste von Baron Wave Thunder in Tarot von den Plänen der ›Vierer-Gruppe‹ erfahren hatte. Angeblich hatte er sie jemandem bei Hofe abgekauft, und das würde, wie Cayleb schon angemerkt hatte, alles doch recht … interessant werden lassen, vor allem für Gorjah und seine engsten Ratgeber, wenn diese Geschichte erst einmal zu Clyntahn und seinen Verbündeten vorgedrungen war. Und es lieferte auch eine sehr schöne Erklärung – eine andere als die geheimnisvollen Visionen eines gewissen Seijin Merlin –, wie Haarahld einen Gegenschlag hatte planen können.
Der Prinz und er lächelten einander an, doch dann wurde Caylebs Miene wieder ernster.
»Wir alle … nein, das alles hier hängt ganz von Euch ab, Merlin«, sagte er leise, und trotz der Dunkelheit konnte Merlin genau seinen Gesichtsausdruck sehen. »Ohne Euch wäre keines dieser Schiffe hier. Und ohne Euch wären wir vielleicht von diesem Angriff in genau der Art und Weise überrascht worden, wie sie sich das erhoffen. Für den Fall, dass ich das noch nie so deutlich gesagt habe: Ich danke Euch.«
»Dankt mir nicht«, entgegnete der Mann, der einmal Nimue Alban gewesen war. »Ich habe es Eurem Herrn Vater schon bei unserem ersten Gespräch gesagt: Ich benutze Charis, Cayleb!«
»Das weiß ich«, erwiderte Cayleb schlicht. »Das habe ich von Anfang an gewusst. Ich hätte es selbst dann gewusst, wenn Vater mir nicht erzählt hätte, was Ihr an diesem Morgen gesagt habt. Und ich weiß, dass Ihr Euch deswegen schuldig fühlt.«
Merlins Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Caylebs Augen verfügten nicht über die Restlichtverstärker-Möglichkeiten, die Merlins künstliche Augen boten, doch der Prinz lächelte dennoch, als könne er Merlins Miene genauestens erkennen.
»Rayjhis und ich haben versucht, es Euch an diesem Tag in der Zitadelle zu erklären«, sagte er. »Ihr habt das hier nicht ausgelöst, Merlin; Ihr habt nur dafür gesorgt, dass es etwas früher gekommen ist, als es ohnehin geschehen wäre. Und gleichzeitig habt Ihr uns zumindest eine Chance gegeben, das hier zu überstehen.«
Kurz dachte Merlin nach. »Das vielleicht«, sagte er dann, »aber das ändert nichts an der Tatsache, dass viele Menschen ihr Leben verlieren werden.«
»Auch ohne Euch hätten viele Menschen ihr Leben verloren«, merkte Cayleb an. »Der Unterschied – und ich hoffe, Ihr vergebt mir,
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