Der Krieg der Ketzer - 2
Handelsschiffen hatten sie zu jedem Hafen von Manchyr bis Tanjyr getragen. Als die Neuigkeit dann Charis erreichte, hatte Haarahld damit reagiert, sämtliche Häfen sperren zu lassen und alle fremden Schiffe des Landes zu verweisen. Diese Reaktion hatten seine Feinde erwartet. Tatsächlich wären sie vermutlich sogar misstrauisch geworden, hätte er nicht genau so reagiert, und wenn er den Handelsschiffen gegenüber, die unter der Flagge von Corisande oder Emerald fuhren, etwas rauer aufgetreten war – wer konnte ihm das schon verübeln?
Zudem hatte er eine Depesche an seinen ›Verbündeten‹ König Gorjah abgesetzt, in der er um Unterstützung bat − genau so, wie das ihre Abkommen vorsahen. Man hatte sorgfältig darauf geachtet, das Schreiben exakt zum richtigen Zeitpunkt auf den Weg zu bringen: Der Zeitpunkt des Eintreffens musste deutlich zeigen, dass Haarahld erst vor weniger als drei Fünftagen erfahren hatte, Corisande und die verbündeten Mächte würden mobilmachen. Und bevor sie abgereist waren, hatte nicht ein einziges Mannschaftsmitglied der nun des Landes verwiesenen Handelsschiffe auch nur den geringsten Hinweis zu Gesicht bekommen, die Royal Charisian Navy würde auch ihre Reserve-Galeeren kriegstauglich machen. Während der Abfahrt selbst hatten einige von ihnen deutliche Anzeichen für eine geradezu hektische Mobilmachung erlebt, doch es war ganz offensichtlich, dass Hektor von Corisande und seine Verbündeten Haarahld völlig überrascht hatten.
Genau in diesem Augenblick, das wusste Merlin, hielt die gemeinsame Flotte von Chisholm und Corisande auf die Eraystor Bay zu – geradewegs in Richtung der Flotte, die Merlin die ›Nordstreitmacht‹ getauft hatte. Die Galeeren der Charisian Navy waren zusammengezogen worden, um die Rock Shoal Bay zu verteidigen, und man hatte einen Verband von Aufklärerschiffen ausgesandt, um aus der Ferne die Eraystor Bay im Auge zu behalten.
Auch das war nichts anderes, als Charis’ Feinde erwartet hatten.
Doch hinter diesem Abschirmverband, verborgen vor dem Blick eines jeden Gegners, fuhr nun die Galeonen-Flotte los, verließ langsam, aber stetig den Hafen von Lock Island und steuerte die Südstreitmacht an.
Lock Island war der wichtigste Flottenstützpunkt im ganzen Königreich Charis. Er befand sich fast genau in der Mitte der langgezogenen, schmalen Passage, die als ›der Schlund‹ bekannt war. Sie war stark befestigt und durch zwei Kanäle vom Festland abgetrennt.
Bei Hochwasser war der Südkanal vierundzwanzig Meilen breit, doch bei Ebbe, wenn die Sandbänke aus dem Wasser herausragten, maß er kaum zwölf Meilen – und ein Großteil dieser zwölf Meilen war nicht tief genug, um hochseetaugliche Schiffe passieren zu lassen. Die Hauptfahrrinne, die mehrere scharfe Windungen aufwies, war an einigen Stellen kaum mehr als zwei Meilen breit, und sie näherte sich den Geschützbatterien von Lock Island auf fast zweitausend Schritt.
Der Nordkanal war der tiefere der beiden, auch wenn er bei Hochwasser weniger als achtzehn Meilen breit war. Bei Ebbe schrumpfte er auf weniger als fünfzehn Meilen zusammen, doch die Fahrrinne war an der schmalsten Stelle immer noch fast acht Meilen breit, und sie war auch deutlich weniger gewunden als die des Südkanals. Das bedeutete, dass selbst Schiffe mit beachtlichem Tiefgang sie passieren konnten, ohne sich einer der Geschützbatterien zu nähern, die zu beiden Seiten aufgestellt waren. Das machte den Nordkanal zu demjenigen, der nur durch Kriegsschiffe verteidigt werden konnte … und es erklärte auch, warum die Galeonen, die bei fallender Tide in See gestochen waren, den Weg zwischen Lock Island und North Key, einer vergleichbaren Festung am anderen Ende des Kanals, gewählt hatten.
Die geografischen Gegebenheiten des ›Schlunds‹ stellten für Charis einen immensen strategischen Vorteil und einen fast ebenso gewaltigen Nachteil dar. Sie machten die gesamte Howell Bay praktisch uneinnehmbar, solange die Charisian Navy Lock Island und die Keys hielt, aber zugleich sorgten sie auch dafür, dass ein starker Ostwind den ›Schlund‹ für sämtliche Schiffe, die unter Segel fuhren, praktisch unpassierbar machte. Ein hinreichend kräftiger Wind konnte sie sogar für Galeeren unüberwindbar machen, und das mochte dazu führen, dass – wie Haarahld ja auch angemerkt hatte – eine gesamte Verteidigerflotte hinter Lock Island festsaß.
Glücklicherweise kam der Wind dort in den meisten Fällen aus Nord oder Nordost.
Weitere Kostenlose Bücher