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Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
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Jagd nach Kolonien offen war. 1895 nimmt es sich Formosa (Taiwan), dann 1910 Korea, und 1915 versucht es, sich in China festzusetzen. Doch nach dem „Schlußverkauf von 1920 setzt Japan sein Bemühen um ein größeres Kolonialreich fort. Von 1931 bis 1934 erobert es die Mandschurei. Damit steht Japan zusammen mit Italien als zu spät gekommene Kolonialmacht am Pranger jener Staaten, die ab 1920 nur noch ihren Kolonialbesitz verteidigen.

    Polen – in den gleichen Schwierigkeiten – dehnt seinen Lebensraum zuerst auf Kosten Rußlands aus, als es 1920 Teile Weißrußlands und der Ukraine erobert und sie dann als „Ostpolen" annektiert. Doch das Problem ist angesichts der weiter zunehmenden Bevölkerung damit offensichtlich nicht gelöst, wie Außenminister Beck das 1939 vor der Auslandspresse offenlegt. Der Minister erwähnt am 26. Januar 1939 in einer Pressekonferenz, daß Polen Interesse an Kolonien habe, „weil es Boden für die Auswanderung suche und Rohstoffe für seine Industrie brauche". Aus diesem Grunde – so Minister Beck – werde die Zusammenarbeit mit Ländern gesucht, die Kolonien besitzen 239
    . Becks Äußerungen zeigen, daß die Polen die gleichen Sorgen haben wie viele andere Völker. Hitler mit seinen Lebensraum-Gedanken ist kein Einzelfall zu seiner Zeit, und diese Problematik ist in den 20er und 30er Jahren nicht so außergewöhnlich, wie sie uns heute scheint.

    Es sind zum großen Teil die gleichen Nationen, die vom Selbstbestimmungsrecht der Völker reden, und die sich Kolonien halten. Der Widerspruch, der sich dabei auch schon den Siegermächten in Versailles auftut, findet seine Heilung in einer neuen Auslegung von kolonialer Herrschaft. Im Teil I der Völkerbundsakte in Artikel 22 nennt man koloniale Herrschaft nun
    „ Vormundschaft über Völker, die noch nicht imstande sind, sich unter den
    besonders schwierigen Verhältnissen der modernen Welt selbst zu leiten,
    durch fortgeschrittene Nationen."
    Nach dieser neuen Lesart ist die Herrschaft der Amerikaner, Briten und Franzosen eine Wohltat für die, die nicht imstande sind, sich in dieser Welt zurechtzufinden, auch wenn Inder, Syrer, Ägypter und viele andere ihre kolonialen Herren nach dem Ersten Weltkrieg mehrmals bitten, endlich abzuziehen.

    239
    Archiv der Gegenwart, Seite 3905
    Der Diktator Hitler ist, was sein Denken über Kolonien und Lebensraum betrifft, ein Kind der Zeit. Seine Vorstellungen und Äußerungen zu Ernährungs- und zu Rohstoff-Fragen, zu Lebensraum und Kolonien ziehen sich wie ein roter Faden durch sein Leben, doch wechselt er dabei öfter seinen Standpunkt. Im Buch „Mein Kampf schreibt Hitler 1924, daß Deutschland auf die kaiserlichen Kolonien verzichten und sich dafür Lebensraum im Osten suchen sollte. 240
    Dies ist sicher das Ergebnis der Erfahrung aus dem Ersten Weltkrieg. Das Deutsche Reich als Seemacht zweiten Ranges hatte keine Chance, im Kriege aus den Kolonien Nahrungsmittel, Kohle, Öl und Erze einzuführen. Das haben die Briten und die Amerikaner auf dem Atlantik und im Indischen Ozean unterbunden und die Japaner im Pazifik. Eine Kolonie in Osteuropa hätte Deutschland im Kriege sicher besser nutzen können. Von 1928 bis 1933 schweigt Hitler dann zu Lebensraum und Kolonien, vermutlich um im Kampf um seine Kanzlerschaft niemand zu verschrecken. Sofort nach dem Regierungsantritt im Februar 1933 nimmt Hitler dieses Thema wieder auf. In seiner Antrittsrede vor hohen Reichswehroffizieren entwickelt er Gedanken zur Problematik von wachsender Bevölkerung und auf Dauer unzureichender Ernährungslage. Er stellt dabei die Frage, was denn besser sei, eine Kolonie in Übersee oder neues Siedlungsland in Osteuropa. Diese Rede wird an späterer Stelle dieses Buches noch erörtert werden.

    Seit dieser Antrittsrede kommt Hitler in geschlossenen Kreisen und geheimen Reden immer wieder auf den „neuen Lebensraum" zu sprechen, ohne daß er vor dem Kriege sagt, daß er dabei an die Ukraine denkt. So bleibt das Thema für Partei und Wehrmacht bis zum Kriege theoretisch akademisch. Selbst als das Geschehen im Sommer 1939 wie unaufhaltsam auf den Krieg zustrebt, bringt Hitler den „Lebensraum im Osten" nicht mit Polen in Verbindung. Anders sind Hitlers Äußerungen in öffentlichen Reden und dem Ausland gegenüber. Hier spricht er vor allem von Deutschlands früheren Kolonien, die er in „Mein Kampf noch abgeschrieben hatte. Oftmals, wenn im Reichstag die Ernährungs- und die Rohstofflage Deutschlands angesprochen

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