Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
Vom Netzwerk:
Prügeleien zwischen Jugendlichen beider Nationalitäten und eingeworfene Fensterscheiben zeigen, daß die Temperaturen auf beiden Seiten steigen. Am
    12. März stören 600 Litauer, davon 450 mit Gewehren, eine deutsche Feierstunde an einem Gefallenenehrenmal. Die Feier und die Störung werden von der jeweils anderen Seite als schwere Provokation betrachtet.

    Am 15. März 1939 marschiert die Wehrmacht in „Böhmen und Mähren" ein. Die Deutsch-Memelländer nehmen das für sich als gutes Omen und hoffen als nächstes auf einen Einmarsch deutscher Truppen in das Memelland. Der im Dezember neu gewählte Landtag ist vom litauischen Gouverneur inzwischen noch immer nicht zu seiner ersten Sitzung einberufen worden. An diesem 15. März hält der Vertreter der deutschen Parteienliste Dr. Neumann vor dem Landtagsgebäude eine öffentliche Rede. Er beklagt die Verletzung des Selbstbestimmungsrechts der Memelländer. Er prangert den wirtschaftlichen Niedergang des Gebiets unter litauischer Herrschaft an, und er verlangt vom Gouverneur, den Landtag bis zum 25. März zu seiner ersten Sitzung einzuberufen. Zwei Tage später gibt Dr. Neumann Vertretern der Agentur Reuter und des DAILY TELEGRAPH ein Interview, in dem er erstmals öffentlich erklärt, die deutsche Bevölkerung des Memellands erwarte den Anschluß an das Deutsche Reich und hoffe, die litauische Regierung werde das Gebiet freigeben. Er fügt hinzu, daß die Memelländer kei

    233
    PAAA, R 29675, Blatt 120 785

    ne Feindschaft gegen die litauische Bevölkerung empfinden würden, auch nicht gegen die litauischen Soldaten 234
    . – Damit ist die Katze aus dem Sack.

    Den Neumann-Erklärungen folgen litauische Anfragen in Paris und London. Die französische Regierung stellt fest, daß sie keine Garantie für Litauen gegeben habe. Die britische antwortet ausweichend sibyllinisch. Die Litauer, die die Memelkonvention bisher oft nicht beachtet haben, finden nun unter deren Dach auch keinen Schutz. Am 20. März, nachdem Litauen in Paris und London keinen Rückhalt findet, reist Außenminister Urbšys nach Berlin zu Ribbentrop. Der deutsche Minister, der sich bisher in Bezug auf Memel stets öffentlich zurückgehalten hat, nutzt nun die ausweglose Lage des litauischen Kollegen. Er weiß, daß Litauen das Memelland einst ohne Recht und mit Gewalt genommen hat, daß es die Memelkonvention die längste Zeit nicht eingehalten hat, daß die Memelländer sich mit übergroßer Mehrheit für das Deutsche Reich entschieden haben und daß Litauen nun bei den Siegermächten keinen Rückhalt findet. Von Ribbentrop beginnt das Gespräch mit Urbšys mit der Feststellung, daß die Memelländer zurück zu Deutschland wollen. Dann stellt er Urbšys vor die Wahl.
    „Es gibt zwei Möglichkeiten", so von Ribbentrop, „eine freundschaftliche
    Regelung mit nachfolgendem freundschaftlichem Verhältnis zwischen den
    beiden Ländern. Hierbei würden wir wirtschaftlich großzügig sein und die
    Freihafenfrage zu Gunsten Litauens lösen. Anderenfalls ist nicht zu sehen,
    wo die Entwicklung endet. Kommt es im Memelgebiet zu Aufständen und
    Schießereien, wird Deutschland nicht ruhig zusehen. Der Führer wird
    blitzartig handeln und die Situation wird dann von den Militärs be
    235
    stimmt."
    Von Ribbentrop beendet das Gespräch mit dem Angebot eines Vertrages, der beides regeln soll, die Rückkehr Memels und den Freihafen für Litauen. Urbšys erbittet Bedenkzeit von ein paar Tagen, doch von Ribbentrop setzt nach und rät, „allerschleunigst einen Bevollmächtigten zum Abschluß des Vertrags zu entsenden". Der litauische Minister kehrt noch am gleichen Tag zurück nach Kaunas.

    Am Folgetag berät das litauische Kabinett ab 14 Uhr das deutsche Angebot, das ja offensichtlich keine andere Wahl mehr läßt. Um 19 Uhr fällt der Entschluß, das Memelland zurückzugeben. Dann wird Staatspräsident Smetona von der Entscheidung unterrichtet. Um 0 Uhr 20 informiert das Presseamt die Medien. Am Tag danach, dem 22., schließen beide Länder den von Deutschland angebotenen Vertrag, der das Memelland zurück ins Reich bringt und Litauen einen Freihafen in Memel und gewisse Rechte garantiert. Fast zeitgleich gehen Noten der litauischen Regierung an die in London, Rom, Paris und Tokio, die nach Artikel 15 der Memelkonvention als Signatarmächte dieser Konvention „der Übertragung der Souveränitätsrechte über das Memelgebiet zustimmen" müssen. Die angeschrie

    234
    Plieg, Seite 205
    235
    PAAA, R 29675,

Weitere Kostenlose Bücher