Der Krieg, der viele Vaeter gatte
Bevölkerung zu seiner offensichtlichen Methode, die durch Versailles abgetrennten Deutschen allein durch Drohung, Sturheit und Verhandlung „heim ins Reich" zu holen. Das deutsche Volk hat zunächst Grund, Hitlers Versicherung zu glauben, daß Deutschland kein Interesse an den Tschechen habe.
Nach dem Erfolg der Münchener Konferenz fängt Hitler an, die Heimkehr der Sudetendeutschen in öffentlichen Reden zu seiner alleinigen Eigenleistung umzudeuten. Er schmälert die Unterstützung der Regierungen in London und Paris, die – wie es ja wirklich war – nur unter seiner Drohung mitgeholfen haben. Hitler brüskiert damit das Ausland in völlig überflüssiger Weise.
Die Neujahrsrede 1939 klingt ganz ähnlich wie die von 1938. Sie ist erfüllt vom Dank für die „Heimkehr" der Österreicher und der Sudetendeutschen im abgelaufenen Jahr. Sie endet:
„Im übrigen aber haben wir wie immer nur den einen Wunsch, daß es
auch im kommenden Jahr gelingen möge, zur allgemeinen Befriedung der
Welt beizutragen. Möge die Gnade des Herrgotts dabei unser deutsches
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Volk auf seinem Schicksalsweg begleiten."
Auch im nur kurzen Neujahrsbefehl an die Wehrmacht schlägt Hitler keine aggressiven Töne an:
„Soldaten!...
Ich bin gewiß, daß Ihr auch in Zukunft stets bereit sein werdet, die Le
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bensrechte der Nation gegen jedermann zu schützen."
So treten die deutschen Bürger und Bürgerinnen und die Angehörigen von Wehrmacht und Waffen-SS das Kriegsjahr 1939 mit Hitlers Friedensbeteuerungen im Ohr und im Bewußtsein an.
Domarus, Band 1, Seite 774
Domarus, Band 2, Seite 1025
Domarus, Band 2, Seite 1027
1939 bekommen die Hitler-Reden einen neuen Unterton. Der Diktator wird nach den Erfolgen der vergangenen Jahre selbstsicherer und neigt dazu, zu prahlen, zu polemisieren und zu provozieren. Doch in öffentlichen Reden sagt er nach wie vor nicht, daß er gewillt ist, für weitere Ziele Krieg zu führen. Die Bereitschaft zum Konsens mit den Siegern von 1918 nimmt dennoch hörbar ab.
Am 30. Januar 1939 gibt Hitler vor dem Reichstag in der Krolloper in Berlin eine Regierungserklärung ab, die er – wie Politiker in aller Welt – mit einer langen Aufzählung der eigenen Erfolge anfängt. Er dankt dabei zwar noch den Regierungschefs der drei Staaten, die in München ihr Plazet für die Heimkehr der Sudetendeutschen gaben, aber dann verfällt er dem „Erfolgsrezept" von München und läßt die Muskeln spielen. Er erklärt, daß die Lösung der Sudetenfrage nur möglich gewesen sei, weil er mit Krieg gedroht hat. Was dann kommt, ist verständlich, aber äußerst unklug für den Kanzler einer Mittelmacht:
„Deutschland hat in einem Gebiet, wo weder Engländer noch andere Na
tionen etwas zu suchen haben, für zehn Millionen deutsche Volksgenossen
das Selbstbestimmungsrecht hergestellt. Es hat dadurch niemanden be
droht, es hat sich nur zur Wehr gesetzt gegen den Versuch der
Einmischung Dritter. Und ich brauche Ihnen nicht zu versichern, meine
Abgeordneten, daß wir es auch in Zukunft nicht hinnehmen werden, daß
in gewisse, nur uns angehende Angelegenheiten westliche Staaten sich
einfach hineinzumengen versuchen, um durch ihr Dazwischentreten
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natürliche und vernünftige Lösungen zu verhindern."
Abgesehen von dem schönfärbenden Satz mit „niemanden bedroht" vermittelt Hitler mit seinen Worten zwei Glaubenssätze, die ihm und dem deutschen Volk in der Folge zum Verhängnis werden. Der erste ist, daß Sturheit und Entschlossenheit in jedem Fall erfolgreich sind. Der zweite ist, daß Deutschlands weitere Revisionspolitik zum Ausgleich der noch offenen Versailles-Schäden im Alleingang und ohne Zustimmung der früheren Sieger möglich ist. Mit diesen zwei falschen Denkansätzen beginnen Hitlers verhängnisvolle außenpolitische Fehlleistungen des Jahres 1939: die Besetzung der Rest-Tschechei und der Angriff gegen Polen.
Im Mittelpunkt der erwähnten Regierungserklärung vom 30. Januar 1939 stehen Wirtschaftsfragen und der enge Lebensraum der Deutschen. Hitler stellt zu diesem Thema fest, daß die Ausweitung des Lebensraums derzeit nicht möglich ist und fragt:
„ Unter den aber nun vorhandenen Umständen bleibt uns kein anderer
Weg als der der Fortsetzung einer Wirtschaftspolitik, die versuchen muß,
aus dem gegebenen Lebensraum das Höchste herauszuwirtschaften. Dies
erfordert eine immer größere Steigerung unserer Leistungen und eine Er
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höhung der Produktion. .. "
Domarus, Band 2,
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