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Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
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– will Hitler eigentlich? Lebensraum im Osten und wenn ja, wo soll das sein? Krieg mit England und Frankreich oder Krieg mit Polen oder beides? Jedenfalls will er nicht Krieg mit England, Frankreich und Polen zur gleichen Zeit, und – das verdient herausgestellt zu werden – er will nur „Englands Möglichkeiten auf dem Festland" zerschlagen und nicht Englands Weltreich antasten.

    Nach den Ausführungen über seine strategischen Absichten stellt Hitler fest, daß er nun einen Studienstab beim OKW braucht, der ihm die Bedingungen für solche Kriege untersucht. Dann läßt Hitler sich noch eine Weile über die Arbeit und die Unabhängigkeit des neuen Stabes von den Generalstäben der drei Wehrmachtsteile aus. Als Feldmarschall Göring am Ende der Besprechung fragt, was die Wehrmachtsteile denn nun zu unternehmen hätten und wann mit Krieg zu rechnen sei, antwortet Adolf Hitler nur, daß die Rüstungsprogramme auf 1943 bzw. 1944 abzustellen seien 62 . Das klingt nicht nach einem Einmarsch in Polen am 1. September 1939.

    So weit die zweite „Schlüsselrede" Hitlers, die er am 23. Mai 1939 vor den Oberbefehlshabern und den Generalstabschefs des Heeres, der Luftwaffe und der Marine hält.

    Die Generale und Admirale nehmen, nach dem, was überliefert ist, aus der Besprechung nicht den Eindruck mit, daß Hitler in Bälde Krieg beginnt. Auch wenn der Ausspruch „bei erster passender Gelegenheit Polen anzugreifen" das so vermittelt, so hebt Hitlers Schlußbemerkung über einen Kriegsbeginn 1943 oder 1944 diesen Eindruck wieder auf.

    Domarus, Band 2, Seite 1201
    Sieben Wochen vor der Rede hatte Polen ein Entgegenkommen in der Korridorund Danzig-Frage abgelehnt, und England hatte Polen dabei durch ein Bündnisangebot bestärkt. Seitdem gibt es Hitlers Weisung an die Wehrmacht für den Fall „Weiß" 63 :
    „Das deutsche Verhältnis zu Polen bleibt weiterhin von dem Grundsatz
    bestimmt, Störungen zu vermeiden. Sollte Polen seine bisher auf dem glei
    chen Grundsatz beruhende Politik ändern und eine das Reich bedrohende
    Haltung einnehmen, so kann eine endgültige Abrechnung erforderlich
    werden. ...
    Die Bearbeitung des Falles „Weiß" hat so zu erfolgen, daß die Durch
    führung ab 1.9.1939 jederzeit möglich ist."
    Die Generale und Admirale halten einen Krieg zur Rückgewinnung Danzigs und des Korridors im Sommer 1939 im Grundsatz für berechtigt. Dennoch bevorzugen alle ohne Ausnahme eine Lösung des Problems auf dem Verhandlungswege, weil sie die Weiterungen mit Frankreich und mit Großbritannien sehen. Sollte es zum Krieg mit Polen und zu einem Sieg der Wehrmacht kommen, ist der weitere Verbleib der ehemals deutschen Provinzen Posen und Westpreußen bei Polen oder Deutschland nach damals gängiger Auffassung beim Militär eine Angelegenheit der hohen Politik. In den Gebieten den „Lebensraum im Osten" zu vermuten, von dem Hitler häufig spricht, liegt in dem Zusammenhang nicht fern. An eine Annexion ganz Polens denkt bei der Hitler-Rede vom 23. Mai aber offensichtlich niemand. Hitlers gedankliche Exkursion zum Lebensraum im Osten in dieser Rede ist so wenig greifbar und konkret, daß sie in der Folge weder Einfluß auf die weitere Polen-Planung der drei Wehrmachtsteile hat, noch für weitere Diskussionen Anlaß gibt. Aber in den Wochen und Monaten nach der Rede warnen die Oberbefehlshaber der drei Wehrmachtsteile Hitler wiederholte Male davor, England und Frankreich falsch einzuschätzen. Doch der wiegelt stets mit Beruhigungen ab, „er habe die Dinge politisch fest in der Hand" 64 , „er werde es nicht zum Krieg gegen England kommen lassen" oder in gleichem Sinne ähnlich formuliert.

    Die Rede vom 23. Mai 1939 ist in Teilen wirr und nebulös, doch sie zeigt Hitlers Vermutung, daß England sich der weiteren Stärkung Deutschlands mit einem Krieg entgegenstellen wird. Hitler entwickelt daraus seine Zwangsvorstellung, daß ein Krieg mit England unausweichlich sei, daß er Deutschland dafür weiter rüsten müsse, und daß es vielleicht von Vorteil sei, den Krieg mit England selber zu beginnen. Polen sei hier „nur" das Land, das sich nun auf die falsche Seite stellt und deshalb ausgeschaltet werden müsse. Diese Deutung bestätigt sich schon binnen eines viertel Jahres, als England kurz vor Kriegsbeginn Deutschland einen Vertrag zur Partnerschaft in Aussicht stellt und Hitler dafür die Bereitschaft zeigt, den Polenfeldzug abzublasen. Doch England löst das Angebot nicht ein und so beginnt der Krieg mit

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