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Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
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Sowjetunion gesprochen. So bleibt der Vortrag Hitlers ein brisantes politisches Bekenntnis und kein konkreter Kriegsplan. Als die Tschechei gut einen Monat später zum Protektorat des Reichs und dem deutschen Wirtschaftsraum angeschlossen wird, mag mancher der Zuhörer vom 10. Februar glauben, dies schon sei die Erfüllung von Hitlers Lebensraum-Idee.

    Hitlers Rede vom 23. Mai 1939 und
    das Schmundt-Protokoll

    Gut drei Monate nach jenem Vortrag vor den Heereskommandeuren spricht Hitler in einer geheimen Konferenz wieder vor den Spitzen der drei Wehrmachtsteile. Diese Rede vom 23. Mai 1939 ist nach Sinn und Inhalt sehr umstritten. Sie ist die zweite der schon erwähnten „Schlüsselreden", mit denen das Nürnberger Militärgericht versucht, den angeklagten Generalen und Admiralen ihre „gemeinsame Planung eines Krieges und Verschwörung gegen den Frieden" nachzuweisen 58 . Die Rede, das sei gleich vermerkt, liegt auch in diesem Falle nicht als Wortlautprotokoll vor. Oberstleutnant Schmundt, zu der Zeit Hitlers Wehrmachtsadjutant, hat sie irgendwann nach der Besprechung aus dem Gedächtnis zu Papier gebracht. Er vermerkt auf der ersten Seite seiner Niederschrift „sinngemäß wiedergegeben" und weist damit darauf hin, daß er sich nicht an Hitlers Wortlaut hält.

    Großadmiral Raeder, im Nürnberger Prozeß mit der Schmundt-Niederschrift konfrontiert, sagt vor Gericht:
    „Es ist meiner Ansicht nach die unklarste Urkunde über eine Rede Hitlers,
    die überhaupt vorhanden ist, denn ein großer Teil der Ausführungen hat
    meines Erachtens gar keinen Sinn. ...Es gibt gerade in diesem Falle kei
    59
    neswegs den Charakter der Rede richtig wieder."
    Wir Leser sind allerdings auf diese einzige Niederschrift zu jener Hitler-Rede angewiesen.

    Hitler hat am 23. Mai 1939 die Oberbefehlshaber der Wehrmachtsteile und ihre Generalstabschefs zu sich in die Reichskanzlei befohlen, um ihnen zwei Dinge mitzuteilen: erstens, daß er einen Extra-Studienstab zur eigenen Verfügung im Oberkommando der Wehrmacht (OKW) eingerichtet haben will. Der soll ihm die Bedingungen untersuchen, denen Kriege in der Zukunft unterliegen. Und zwei

    IMT Dokument 079-L/US-27 und Domarus, Band 2, Seiten 1196 ff IMT Verhandlungen, Band XIV, Seiten 48 f
    tens teilt er mit, daß er gedenkt, Polen bei günstiger Gelegenheit als potentiellen Gegner in Deutschlands Rücken auszuschalten.

    Um diese Rede zu verstehen, muß man sich die jüngste Entwicklung bis zum Mai 1939 ins Gedächtnis rufen. Im Januar verhandeln die deutsche und die polnische Regierung, um eine Lösung in der Korridor- und Danzig-Frage zu erreichen. Im März 1939 läßt Hitler die Tschechei als Protektorat des Deutschen Reichs besetzen. Polen, das sich im Oktober 1938 noch selbst ein Stück der Tschechoslowakei genommen hat, glaubt nun, einen Ausgleich mit den Deutschen nicht mehr nötig zu haben und weigert sich, weiter über Danzig zu verhandeln. Polen nutzt die Chance und wechselt ins Lager der Briten und Franzosen. Zur gleichen Zeit lebt die Unterdrückung der deutschen Minderheit in Polen wieder auf. Seit Februar häufen sich antideutsche Kundgebungen in Polens Städten 60 , und die große Zahl polnischer Übergriffe gegen Deutsche empört die Bevölkerung im Reich. Das deutsch-polnische Verhältnis, das vor der Tschechei-Besetzung noch Anlaß zu Hoffnung auf Verständigung gibt, beginnt nun hochzukochen. Hitler ist offensichtlich stark verärgert über die vom ihm selbst verpatzte Chance und über diese Reaktion der Polen. Er schiebt die Weigerung der Polen, weiter über Danzig zu verhandeln, auf das Angebot der Briten, Polen vor der deutschen DanzigForderung zu schützen. So richtet sich der Ärger Hitlers zu dieser Zeit vor allem gegen die Briten und die Polen. Hitler weist am 3. April 1939 das OKW an, einen Feldzug gegen Polen für den Fall vorzubereiten, daß Polen seine Haltung gegenüber dem Deutschen Reich verschärfen sollte.

    In dieser Lage informiert Hitler die Spitzengenerale über seine Sicht der außenpolitischen Verhältnisse und entwickelt in einer recht konfusen Rede, wie Deutschland militärisch zu verfahren hat. Diese Ansprache – so wie sie „sinngemäß wiedergegeben" ist -, ist aggressiv, wie vor dem Kriege keine andere. Etliche grauslich martialische Passagen daraus eignen sich wahrlich zum Zitieren, doch ob sie wirklich so von Hitler stammen, ist nicht bekannt.

    Ein Gesamtkonzept für einen neuen Weltkrieg verrät die Rede nicht. Doch sie läßt vielerlei

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