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Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
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für die Machtpolitik Polens noch immer dasselbe
    grundlegende Dilemma, das auf unserer ganzen bisherigen Geschichte
    lastet, nämlich die Frage: Welche Richtung soll die Expansion des polni
    schen Volkes einschlagen ? Die nördliche nach der Ostsee oder die
    südöstliche nach der Ukraine und dem Schwarzen Meer?... Entweder wir
    lenken die polnische Machtausdehnung ostwärts gegen Rußland, indem
    wir uns die Periode seiner Ohnmacht zunutze machen, die ihm das
    nächste halbe Jahrhundert bringen wird ... oder aber wir setzen unsere
    ganze uns zur Verfügung stehende Kraft dafür ein, daß die ostpreußische
    Frage durch Polen im Sinne Polens entschieden wird. ...In der neueren
    Geschichte findet sich kein Beispiel dafür, daß ein Volk auf irgendeinen
    seiner Bestandteile nur darum verzichtet hätte, weil sich dieser zur Zeit
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    noch außerhalb seiner Staatsgrenzen befand. ..."

    Das neue Polen stellt 1918 – kaum gegründet – aus den ehemals deutschen, österreichischen, ungarischen und russischen Weltkriegssoldaten polnischer Nationalität ein starkes Heer auf und beginnt, sich angriffsweise nach drei Himmelsrichtungen zu Lasten seiner Nachbarn auszudehnen. So sind die Konflikte der nächsten 20 Jahre vorgezeichnet.

    Das polnische Selbstverständnis

    Polens Geschichte umfaßt eine Zeit von fast eintausend Jahren, in denen das Volk der Polen – vom kleinen Slawenstamm zum Königreich gewachsen – in der Hälfte dieser Zeit zum Großreich und zum Herrscher über viele fremde Völker aufsteigt. Die zweite Hälfte polnischer Geschichte ist der Weg des inneren Zerfalls, der Eroberung der nicht polnisch besiedelten Gebiete Polens durch Russen und Osmanen und zum Schluß der „drei polnischen Teilungen", der Aufteilung des Landes zwischen Rußland, Österreich und Preußen, die Polens Selbständigkeit

    Kendziora, Seite 6
Halecki, Seite 223
Fuchs, Seiten 76 f

    ab 1795 beenden. Erst 1917 gründen Österreich und Deutschland aus „ihren" Teilen Polens ein neues Polen.

    Aus dieser tausendjährigen Geschichte dominieren zwei historische Erinnerungen das kollektive Gedächtnis der Polen und ihr politisches Bewußtsein. Es sind dies die Reminiszenzen an den „Glanz" des alten Großreichs, die den Polen suggerieren, dieses Land sei in seinem vollen Umfang polnisch. Das zweite sind die Erinnerungen an das „Elend" der drei Teilungen, die im Selbstbewußtsein der Polen heute noch als Schuld der Russen, Österreicher und Deutschen an ihrem Volke weiterleben. Dieser Glanz und dieses Elend wirken auch 1918 und danach in Polen auf das Selbstverständnis der Eliten und des Volkes.

    Nach dem Verständnis der polnischen Geschichtsschreibung bildet der Kampf des kleinen Volkes der Polanen gegen seine slawischen Nachbarn den Anfang eines ersten Königreiches. Aus der zeitweiligen Unterwerfung dieser Nachbarslawen, zum Beispiel der Masuren in Ostpreußen und der Schlesier leitet die polnische Regierung 1918 ihre Rechtsauffassung ab, daß deren Länder urpolnische Gebiete seien. Das Vordringen der deutschen Herrschaft und Besiedlung ab dem Jahre 963 über die Elbe in die damals slawisch besiedelten Gebiete lebt in der polnischen Geschichtsschreibung bis heute als der erste Angriff Deutschlands gegen Polen fort. 5

    König Boleslaw Chrobry dehnt die Herrschaft Polens bis 1025 für kurze Zeit nach Westen aus. Die Lausitz wird dabei von 1018 bis 1031 polnisch und so auch Böhmen von 1003 bis 1004 und Mähren von 1003 bis 1029, ebenso Schlesien und für eine kurze Periode auch die Slowakei. 1386 heiratet die polnische Prinzessin Jadwiga den litauischen Großfürsten Jagiello. Nun wachsen deren beide Reiche zur Polnisch-Litauischen Personalunion zusammen. In diese Union bringen die Polen ein gutes Viertel ein, die Litauer mit Weißrußland, der Ukraine, Wolhynien und Podolien die restlichen drei Viertel. Mit der Union wächst Polens Machtteilhabe in ein weites Land nach Osten bis kurz vor Moskau und vor Kursk. Der litauische Teil wird später noch im Norden bis an den Rand des deutschen Memellands und im Süden bis zum Schwarzen Meer erweitert. Teile davon im Osten und im Süden kommen allerdings schon vor der Ersten Polnischen Teilung in russischen und in osmanischen Besitz. Im Jahre 1569 wird aus der Personalunion der beiden Staaten eine Realunion, und das große Litauen wird ein Teil des bis dahin weitaus kleineren Polen.

    Die Polen beanspruchen dieses angeheiratete Großlitauen 1918 in Versailles als ihr Erbe. So gehen auch

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