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Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
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    Mitwisserschaft und Mitschuld des deutschen Volkes

    Die Gesamtschau aller Interviews und Reden Hitlers zwischen 1933 und dem Beginn des Krieges gegen Polen zeigt ein zunächst diffuses Bild. Da gibt es die öffentlichen Reden, in denen Hitler bis zum Kriegsausbruch für den Frieden in Europa wirbt, und da gibt es die geheimen Reden vor geschlossenen Kreisen meist vor hohen Offizieren -, in denen er erkennen läßt, daß er bereit ist, Kriege zu riskieren. Hitler täuscht mit seinen Friedensreden offensichtlich das Ausland und das deutsche Volk, und das Internationale Militärtribunal zu Nürnberg täuscht das Ausland und das deutsche Volk über den wahren Inhalt der geheimen Hitler-Reden.

    So ist es aus der Rückschau nicht ganz einfach zu erkennen, ob Hitler zunächst nur einen Krieg um die Rückkehr Danzigs und des Korridors riskiert, ob er eine spätere Auseinandersetzung mit den Westmächten für unausweichlich hält und dafür rüstet oder ob er selber einen Krieg zur deutschen Expansion vom Zaune brechen will. Alle Nachkriegsinterpretationen über den „deutschen Lebensraum im Osten" helfen da nicht weiter. Hitler erwähnt in keiner seiner Reden, selbst in denen nach der Kriegseröffnung am 1. September, am 6. Oktober und am 23. No

    z.B. in „Unsere Geschichte" Band 4, Seite 128 zitiert als Diesterweg 1988 und in „Geschichte und Geschehen 10" Ausg. N, Seite 133 zitiert als Klett 1995 und in „Handbuch der deutschen Geschichte" Band 4/2, Seite 499 zitiert als Gebhardt und in „Der Mensch gegen den Mensch", Seite 40, Buch für niedersächsische Schulen zitiert als Nolte
    vember 1939 nicht, wo für ihn der oft erwähnte Lebensraum im Osten liegt. Die zuhörenden Generale, Admirale und Minister konnten ihn im jeweils nächsten „Ziel" vermuten, in Österreich, in Böhmen und Mähren oder in den ehemals deutschen Teilen Polens. Die Ukraine, das spätere Eroberungsziel, hat Hitler bis zum Juli 1940 nie erwähnt 93 . So hat das offensichtliche Frisieren der geheimen Hitler-Reden mit den Formulierungen über Angriffsabsichten gegen Großbritannien und Frankreich oder über die angestrebte „Erdherrschaft" der Wahrheitssuche eher geschadet als genutzt.

    Die deutsche Öffentlichkeit hat im Spätsommer 1939 keinen Anhalt, aus Hitlers Reden auf mehr als einen Krieg um Danzig und den Korridor zu schließen. Nach Hitlers Handstreich- und Droherfolgen im Rheinland 1936, in Österreich und im Sudetenland 1938 und in der Tschechei 1939 darf sie sogar hoffen, daß auch Danzig wieder ohne Krieg zum Deutschen Reich zurückkehrt. Die vorausgegangenen Wortbrüche, mit denen Hitler seine früheren Versprechen wie „wir wollen gar keine Tschechen" Lügen straft, steckt die deutsche Öffentlichkeit allem Anschein nach genauso weg, wie sie es gewöhnlich mit gebrochenen Politikerversprechen tut. Sie sieht darin kein Menetekel. So kann das deutsche Volk den Hitler-Reden bis 1939 nicht entnehmen, daß es sein „Führer" zu späterer Zeit in einen Krieg um „Lebensraum im Osten" führen wird. Hitler hat das deutsche Volk als Ganzes mit seinen öffentlichen Reden nicht in seine Karten schauen lassen. So kann man dem deutschen Volk als Ganzem auch nicht Mitwisserschaft und eine kollektive Schuld zumessen.

    Die Reichsminister und die Spitzengenerale können bis 1937 Hitlers latente Bereitschaft, die Wehrmacht auch zu anderem als zur Verteidigung Deutschlands einzusetzen, nicht beobachtet haben. Der einzige Hinweis auf Hitlers spätere Ambitionen ergibt sich aus seiner Antrittsrede bei der Reichswehr am 3. Februar 1933, wo der frisch ins Amt gekommene Kanzler Hitler einmal erwähnt, daß Deutschland möglicherweise „Lebensraum im Osten" brauche. Danach ist das zunächst für lange Zeit kein Thema mehr. Es folgen der Bau von Befestigungsanlagen an der Ostgrenze, die Besetzung des bis dahin von deutschen Truppen ungeschützten Rheinlands und der Bau des Westwalls. Auch der Wiederaufbau der Wehrmacht orientiert sich in den ersten Hitler-Jahren zunächst nur am Rüstungsvorsprung Frankreichs und der mit Frankreich verbündeten Nachbarstaaten Deutschlands. Das alles ist kein Grund, Eroberungskriege unter der Regierung Hitlers zu befürchten.

    Dennoch gibt es – das darf nicht übersehen werden – auch Männer in Wirtschaft, Politik und Militär, die schon in der Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht, in der Aufrüstung und in der Rheinlandbesetzung die Vorboten einer Kriegspolitik erblicken und das auch so zum Ausdruck

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