Der Krieg, der viele Vaeter gatte
Polen nicht beteiligen werde. Hitler hatte zunächst einkalkuliert, daß Italien Polens Verbündeten Frankreich würde binden können. An diesem Vormittag wird dem „Führer" endgültig bewußt, daß mit Italien in dieser Hinsicht nun nicht mehr zu rechnen ist. Hitler kennt die italienisch-französischen Informationskanäle und die französisch-britischen, und er weiß, daß man in London genauso schnell von der italienischen Abfuhr an Deutschland erfährt wie in Berlin. Hitler hat wieder einen Trumpf verloren und England einen zugewonnen. Ein Grund weniger für die englische Regierung, der polnischen ein Einlenken in der Danzig-Frage zu empfehlen. So wird die Angriffsoption für Hitler wieder wahrscheinlicher als die Verhandlungslösung. Er bestellt die Generale von Brauchitsch, Keitel und Halder in die Reichskanzlei und entscheidet gegen 15 Uhr, daß Polen am 31. August angegriffen wird, wenn es bis dahin keine andere Lösung gibt. 294
Die endgültige Entscheidung wird deshalb auch erst für den 30. August um 17.00 Uhr anberaumt. Hitler braucht einerseits Zeit zum Verhandeln und darf andererseits den 2. September als militärisch letztmöglichen Angriffstag nicht aus den Augen verlieren. Die Zeit wird knapp.
Um 17.30 Uhr läßt sich der französische Botschafter Coulondre bei Hitler melden. Hitler, von den Nachrichten des Tages noch sehr angespannt, geht auf Coulondre zu und eröffnet das Gespräch:
„Angesichts des Ernstes der Lage will ich Ihnen eine Erklärung abgeben,
die ich Sie bitte, Herrn Daladier 295
zu übermitteln.
Wie ich ihm schon gesagt habe, hege ich keine feindseligen Gefühle gegen
Frankreich. Ich habe persönlich auf Elsaß-Lothringen verzichtet und die
deutsch-französische Grenze anerkannt. Ich will keinen Konflikt mit ihrem
Land. ... Infolgedessen ist mir der Gedanke, daß ich Polens wegen mit
Frankreich kämpfen müßte, außerordentlich schmerzlich. Die polnischen
Herausforderungen haben jedoch eine Lage für das Reich geschaffen, die
nicht länger andauern kann.
Ich habe vor mehreren Monaten Polen, als ich die Rückkehr Danzigs und einen schmalen Gebietsstreifen als Verbindung dieser Stadt mit Ost preußenforderte, außerordentlich vernünftige Vorschläge gemacht. ... Die polnische Regierung hat nicht nur meine Vorschläge zurückgewiesen, sondern sie hat auch die deutschen Minderheiten auf das Schlimmste mißhandelt. ... Frankreich würde so etwas genausowenig dulden wie Deutschland. Diese Dinge haben lange genug gedauert, und auf neue
294
Keitel, Seite 250
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französischer Ministerpräsident
Herausforderungen werde ich mit Gewalt antworten. Ich lege Wert darauf,
es nochmals auszusprechen: Ich wünsche, einen Konflikt mit Ihrem Lande
zu vermeiden. Ich werde Frankreich nicht angreifen, aber wenn es in den
Konflikt eingreift, so werde ich bis zum Ende gehen. ... Sagen Sie das, bit
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te, Herrn Daladier von mir."
Botschafter Coulondre erwidert:
„Jetzt, da jedes Mißverständnis behoben ist, lege ich Wert darauf, Ihnen
mein Ehrenwort als Soldat zu geben, daß Frankreich Polen, falls es ange
griffen würde, mit seinen Streitkräften zur Seite stehen wird. Ich kann
Ihnen aber gleichfalls mein Ehrenwort geben, daß die Regierung der Fran
zösischen Republik bis zum letzten Augenblick alles tun wird, was in ihrer
Macht steht, um den Frieden zu bewahren. Sie wird es der polnischen
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Regierung an Mahnungen zur Vorsicht nicht fehlen lassen."
Hitler entgegnet heftig:
„ Warum, ja warum haben Sie Polen dann einen Blankoscheck gegeben?'" Nun rückt der Franzose mit dem eigentlichen Grund für den Krieg heraus, an dessen Schwelle die Welt in diesen Tagen steht:
„Das ist das Ergebnis der Ereignisse des vergangenen 15. März. Die Be
setzung Prags hat einen tiefen Eindruck auf die Gemüter in Frankreich
gemacht. Sie hat allenthalben ein Gefühl der Unsicherheit hervorgerufen,
wodurch Frankreich veranlaßt wurde, seine Bündnisse fester zu knüp
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fen."
Hitler mußte hier – und eigentlich schon lange – erkennen, daß ihm nun die
Rechnung für die unrechtmäßige Besetzung der Rest-Tschechei vorgelegt wird.
Auf der Rechnung stehen unausgesprochen weitere Posten:
● Die Kündigung von Versailles,
● die Angliederung Deutsch-Österreichs,
● die Häresie der autoritären Staatsform,
● der Machtzuwachs des Reiches in den vergangen sechs Jahren, ● die Aufrüstung der Wehrmacht,
● Hitlers Forderung nach Rückgabe der ehemals deutschen
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