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Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
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Alliierten Rats" der Sieger und annektiert ein Land, in dem mit Mehrheit Weißrussen und Ukrainer leben. Mit diesem Rechtsbruch schafft sich Polen gleich zwei weitere Probleme: die Dauerfeindschaft der Sowjetunion und starke Minderheiten, die es bis 1939 nicht integriert. Polen bezahlt den Angriff gegen Rußland von 1920 mit dem Einmarsch der Roten Armee im September 1939.

    Ebenfalls 1920 annektiert Polen in Litauen die Hauptstadt Wilna und ein Gebiet darum herum. Das hätte 1939 wohl kaum noch Folgen, wenn Polen das Land Litauen nach der Eroberung in Ruhe gelassen hätte. Doch 1938 marschiert Polen nochmals mit Truppen an der litauischen Grenze auf und verlangt die völkerrechtliche Anerkennung seiner Annexion von 1920. Die polnische Regierung droht der litauischen mit Krieg, wenn sie die Anerkennung der Eroberung verweigern sollte. Ähnliches passiert 1938 auch den Tschechen. Polnische Streitkräfte marschieren bei Teschen an der tschechischen Grenze auf. Die polnische Regierung verlangt die Abtretung des Teschener Gebietes und droht bei Weigerung mit Krieg. Mit seinen wiederholten Drohungen und Kriegsaufmärschen bricht Polen nicht nur jedes Mal den Kellogg-Pakt, der das verbietet. Es verliert auch sein moralisches Recht auf bessere Behandlung. Auch der Versuch Marschall Piłsudskis von 1933, Frankreich zu einem Angriffskrieg gegen Deutschland zu bewegen, gehört zum Stil der Polen jener Zeit, mit Kriegen aktive Außenpolitik zu machen. So grenzt das Volk der Polen 1939, abgesehen von den Letten und Rumänen, an kein Nachbarvolk, das den Polen gegenüber Skrupel haben müßte, in gleicher Münze heimzuzahlen.

    Was Polen 1939 dennoch hätte retten können, ist ein Geflecht von bilateralen und kollektiven Schutzverträgen. Doch auch dieses Dach decken sich die Polen selber ab. Der Kellogg-Pakt wird so oft gebrochen, daß er Polen 1939 nicht mehr sichert. Mit der Teschen-Eroberung von 1938 verliert Polen den Schutz des Litwinow-Protokolls von 1929 und des Polnisch-Sowjetischen Nichtangriffspaktes von 1932. Mit ihrer vertragswidrigen Mobilmachung gegen Deutschland vom März 1939 als direkte Antwort auf ein deutsches Verhandlungsangebot veranlaßt die polnische Regierung Adolf Hitler, den Deutsch-Polnischen Freundschaftsund Nichtangriffspakt von 1934 aufzukündigen. Auch wenn diese Entscheidung Hitlers völkerrechtlich umstritten ist und als überzogen gilt, so wird sie doch von Polen selber ausgelöst. So schafft Polen bis zum Kriegsausbruch um sich herum einen vertragsfreien Raum, in dem nur noch die Regeln des Stärkeren gelten, wie Polen sie seit 1918 gegenüber fast allen Nachbarstaaten anwendet.

    In dieser für Polen so unvorteilhaften Lage trägt es zu zwei Konflikten bei, die zum Schluß den Zweiten Weltkrieg auslösen: die Danzig- und die Minderheitenfrage. Die Danziger Bevölkerung fordert im Rahmen des Selbstbestimmungsrechts der Völker den Anschluß an ihr Mutterland und alle deutschen Nachkriegsregierungen fordern den Anschluß Danzigs an das Reichsgebiet. Polen ist dabei insoweit mit betroffen, als es seit 1920 begrenzte Postrechte, Verkehrs-, Hafen-, Schiffahrts-, Militär- und Zollrechte in der Stadt besitzt. Außerdem ist Polen die diplomatische Außenvertretung des Freistaates Danzig übertragen worden. Deutschland bietet Polen 1939 bei einer Angliederung Danzigs an das Deutsche Reich die Wahrung und Beibehaltung der polnischen Hafen-, Verkehrs- und Schiffahrtsrechte an. Polen seinerseits bietet Danzig die Rückübertragung der diplomatischen Außenvertretungsrechte an den Danziger Senat an. Der Staat Polen würde bei einem Anschluß Danzigs an das Reich also nur noch seine Post- und Zollrechte und ein Munitionsdepot auf der Danziger Westerplatte einbüßen. Das ist der reale Streitwert, der zum Weltkrieg führt. Doch der politische Streitwert hat eine ganz andere Dimension. Die alte Hansestadt mit 97% deutscher Bevölkerung ist für die Polen mit eigenen Wünschen und historischen Erinnerungen befrachtet. Marschall Rydz-Śmigły bringt das am 20. Juli 1939 in einem offiziellen Kommunique so auf den Punkt:
    „Eine Besetzung Danzigs durch Deutschland würde ein Akt sein, der uns
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    an die Teilung Polens erinnert."
    So kommt es dann an jenem 26. März 1939, als Botschafter Lipski die Ablehnung der deutschen Vorschläge und Wünsche aus Warschau überbringt, zu der für Polen so verhängnisvollen Erklärung, bei der Lipski droht:
    „Ich habe die unangenehme Pflicht, daraufhinzuweisen, daß
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