Der Krieg, der viele Vaeter gatte
Zentralstaat in der Hand der Tschechen. Staatsapparat, Polizei und Militär sind überwiegend tschechisch und spiegeln den Proporz der Völker in keiner Weise wieder. Wirtschaft, Schulen und Verwaltung in den bis dahin rein und überwiegend deutsch bewohnten Städten und Gemeinden werden gegen den Willen der ansässigen Bevölkerung und auch gegen die Garantien der Verfassung mit Nachdruck tschechisiert. 354 deutsche Volksschulen und 47 Mittelschulen müssen schließen 74 , etwa 40.000 deutsche Staatsbeamte werden aus dem Dienst entfernt. Die deutschen Städte werden umgetauft und erhalten tschechische Namen. Aus Eger wird Cheb, aus Aussig Usti und so weiter. Auch die deutschen Straßennamen werden ausgetauscht. Alle deutschen Landerwerbungen seit 1620 werden in einer sogenannten Landreform enteignet und an den tschechischen Bevölkerungsanteil „zurückerstattet" 76 . Zur Reform gehört ebenfalls die Aufteilung der großen Güter in Böhmen, Mähren und der Slowakei, wobei das umverteilte Land bis dahin zu 43 % in deutschen Händen lag, zu 42 % im Besitz von Ungarn, und nur 15 % der Enteignung betreffen Tschechen. Die Bestimmungen der Verträge von Saint-Germain und Trianon, die Tschechoslowakei zu einem Bundesstaat mit gleichen Rechten für alle Völker zu entwikkeln, werden niemals umgesetzt. Auch der Geist der tschechoslowakischen Verfassung hat hier keinen Einfluß mehr.
Selbst die Slowaken, deren Einvernehmen erst zur Gründung dieses Staats geführt hatte, bleiben bei der Machtverteilung lange außen vor. Die Spannungen
ODSUN-Dokumente Seiten 539 ff Bernhardt, Seite 31
1620, im 30jährigen Krieg besiegt die katholische Liga in der Schlacht am Weißen Berge die prote
stantischen Böhmen.
Benoist-Méchin, Band 6, Seite 50
zwischen Tschechen auf der einen und Slowaken und Ruthenen auf der anderen Seite führen 1939 deshalb auch zur Auflösung der Tschechoslowakei. Doch davon später.
Auch die Tschechen sind nicht glücklich mit den für ihren Staat zu vielen und zu großen Minderheiten. Besonders die „Minorität" der Deutsch-Böhmen bereitet ihnen Schwierigkeiten. Schon 1920 hört und liest man Klagen über die Unwilligkeit der Deutschen, in den Kreisen und Gemeinden, in denen sie noch immer eine Mehrheit bilden, das Tschechisch in Ämtern und Schulen zu benutzen und tschechische Bürgermeister und Beamte zu akzeptieren. Man wirft den DeutschBöhmen vor, ihrem neuen Staate gegenüber illoyal zu sein und den Anschluß an Österreich oder Deutschland zu betreiben.
In den 20er und 30er Jahren nimmt der Verdruß der Sudetendeutschen an der Vorherrschaft und an der Selbstbedienung der Tschechen im neuen Staate stetig zu. Die deutsche Volksgruppe artikuliert sich zunächst zersplittert in mehreren Parteien. Sie bleibt damit politisch lange ohne jeden Einfluß. Erst 1933 gelingt es einem 35jährigen Sudetendeutschen namens Henlein, die deutschsprachigen Bürger der Tschechoslowakei in einer Bewegung zu sammeln, die er die „Sudetendeutsche Heimatfront" nennt. Henlein erkennt die Tschechoslowakei als den Staat der Sudetendeutschen an, doch er versucht, die Kultur, das Heimatrecht, die wirtschaftliche Stellung und die Arbeitsplätze der deutschen Bevölkerung in ihrem neuen Staate zu erhalten und, wo nötig, durchzusetzen 77 . Aus der Sudetendeutschen Heimatfront bildet sich alsbald die „Sudetendeutsche Partei" (SdP), die schon bei den Mai-Wahlen 1935 stimmenstärkste Partei im Lande wird. Den Aufschwung der SdP zaubert sich die Prager Regierung gegen ihren Willen selbst. Sie löst zwei der deutschen Parteien auf und treibt der neuen deren Wähler zu 78 . Im Juli 1936 wird die SdP mit 44 Sitzen auch noch zur stärksten Fraktion in der Prager Nationalversammlung. Ihr folgt die vorwiegend slowakische Agrarpartei, die fortan mit Milan Hodscha den Ministerpräsidenten stellt. Beide, die Sudetendeutschen und die Slowaken drängen auf die in SaintGermain versprochene innere Autonomie der Nationen im Vielvölkerstaate Tschechoslowakei.
Im Februar 1937 versucht Henlein, ein „Volksschutzgesetz" in die Prager Nationalversammlung einzubringen. Der Gesetzentwurf fordert die Umgestaltung der Verfassung und die Autonomie der vielen Völker dieses Staates. Der Vorschlag birgt Sprengkraft für die Tschechoslowakei, denn neben den Sudetendeutschen gibt es im Lande auch die Ungarn, Ruthenen und Slowaken, denen die Zentralisierungspolitik und die Tschechisierung in ihrem Land ein Dorn im Auge ist. Im September 1937
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