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Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
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Konferenz von Saint-Germain zu Gunsten der Tschechen und zu Lasten der Sudetendeutschen. Sie antworten Kanzler Renner- wie an früherer Stelle schon erwähnt -, daß das Selbstbestimmungsrecht nicht für die Besiegten gelte und untersagen eine Volksabstimmung in den Gebieten, in denen die Menschen mit deutscher Muttersprache leben. Damit werden über drei Millionen Sudetendeutsche 1919 gegen ihren Willen Bürger der Tschechoslowakei. Die Werte Demokratie und Selbstbestimmungsrecht, um derentwillen England, Frankreich und die USA ihre Männer vor dem Siege hatten kämpfen lassen, haben ihre normative Kraft nach dem Sieg verloren.

    Das Siegervotum von Saint-Germain ist vor allem das Ergebnis des Drängens der Exiltschechen bei den Siegermächten. Masaryk – später erster Staatspräsident der Tschechoslowakei – und der schon genannte Beneš – später zweiter Präsident – haben gute Gründe, ihren neuen Staat mit Deutsch-Böhmen sowie den deutsch bewohnten Gebieten in Nord- und Südmähren abzurunden. Der erste Grund liegt vor allem „unter Tage". In den Sudetengebieten gibt es bedeutende Eisen-, Kohle- und Ölvorkommen, Silber-, Blei-, Quecksilber- und Graphitlagerstätten, und darauf begründet eine ansehnliche Chemieindustrie, Eisen- und Glashütten sowie Gießereien. Erst durch die Annexion der deutschen Randgebiete Böhmens steigt die neue Tschechoslowakei vom Agrar- zum Industrieland auf. Vier Fünftel der Industrie des neuen Staates liegen in den Gebieten der Sudetendeutschen. Der zweite Grund liegt in der Topographie des Landes. Erst der Einschluß der deutsch bewohnten Ränder Böhmens bis zum Kamm des Böhmerwaldes und des Erzgebirges gibt dem neuen Land eine Außengrenze, die man im Kriegsfall leicht verteidigen kann 72 . So landen über drei Millionen deutschsprachige Bürger aus dem alten Habsburg durch den Anspruch der Tschechen und den Spruch der Sieger in einem Land, dem sie nicht angehören wollen, und das sie im übrigen auch selbst nicht haben will. Bodenschätze, Industrie und die Arrondierung des Gebiets sind das, was die Tschechen treibt, die Sudetenlande für ihren neuen Staat zu fordern. Es sind nicht die Menschen, die dort wohnen. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gibt es unter den Tschechen eine Strömung, die die Deutschen in Böhmen als „fremdnational" empfindet und sich von ihnen trennen möchte. Diese abweisende Einstellung gegenüber den Sudetendeutschen wird um so stärker, je größer die Aussicht auf einen eigenen Staat wird. 1919 nach dem Zusammenbruch Österreich-Ungarns und vor Beginn der Siegerkonferenz in Saint-Germain wird das in der tschechischen Publizistik so auch offen diskutiert. So veröffentlicht zum Beispiel ein tschechischer Jurist namens Stihule 1919 eine Denkschrift mit dem Titel „Der tschechoslowakische Staat im internationalen Recht", in der er die Stellung der Deutschböhmen in seinem neuen Staat wie folgt beurteilt:
    „... Der Deutsche als Feind der Menschheit kann das Recht auf Selbstbe
    stimmung nicht nach seinen egoistischen Bedürfnissen wahrnehmen. ... Es

    Bodenschätze, Industrien und der strategische Wert der Grenzregionen werden 1919 von Beneš in seinem Memorandum Nr. 3 in der Konferenz von Saint-Germain u.a. als Begründung für die geforderte Grenzziehung angegeben. Siehe ODSUN-Dokumente, Seiten 551 ff
    sind die Slawen, auf deren Kosten sich der Deutsche ausgebreitet hat,
    und dieses Unrecht muß nach der Meinung der Menschheit wieder
    gutgemacht werden, d. h. das deutsche Volk muß dieses Territorium
    seinen rechtmäßigen Eigentümern herausgeben. ... Die in unserem Staat
    lebenden Deutschen bilden keine historisch-politische Individualität,
    welche allein der Träger des Rechtes auf Selbstbestimmung sein kann.
    73
    Es sind dies ursprüngliche Kolonisten ..."
    Des weiteren schreibt Stihule über die Assimilation der Deutschböhmen und über die zukünftige Zerstückelung der deutschen Siedlungsgebiete innerhalb der neuen Grenzen. Er beendet den Gedanken mit dem Satz:
    „ Wenn dieser Prozeß nicht schnell genug vonstatten geht, schreiten wir zur
    Aussiedlung des deutschen Elements, sofern es unsere staatliche Sicher
    heit bedroht."

    Zurück zum Beginn der Tschechoslowakei. 1919 besteht die neugebackene Nation der Tschechen und Slowaken zu 48 % aus Tschechen, zu 28 % aus Deutschen, zu 14 % aus Slowaken, zu 7 % aus Ungarn und zu 3 % aus Ruthenen. In den ersten Jahren nach der Gründung entwickelt sich das neue Land zu einem

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