Der Krieg, der viele Vaeter gatte
allem anderen riechen als nach Frieden. Dies muß Hitler, der bis dahin öffentlich niemals weitere Eroberungsabsichten hat verlauten lassen, und der mit dem Flottenabkommen von 1935 von sich aus Englands Seeherrschaft anerkannt und festgeschrieben hat, dies muß Hitler wie ein Bruch des Friedensversprechens von vor fünf Tagen vorkommen. Dementsprechend seine Reaktion: Vier Tage später, bei einer Rede, die er am 9. Oktober in Saarbrücken hält, macht er aus seinen Befürchtungen keinen Hehl:
„Die Staatsmänner, die uns gegenüberstehen, wollen – das müssen wir ih
nen glauben – den Frieden. Allein sie regieren in Ländern, deren innere
Konstruktion es möglich macht, daß sie jederzeit abgelöst werden können,
um anderen Platz zu machen, die den Frieden nicht so sehr im Auge ha
ben. Und diese anderen sind da. Es braucht in England nur statt Cham
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Benoist-Méchin, Band 6, Seite 363
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Bernhardt, Seite 222
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Debatte am 5. Oktober 1938
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Rassinier, Seite 214
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Flottenvertrag vom 18. Juni 1935, in dem Deutschland seine Flottenrüstung freiwillig auf 35% der britischen beschränkt
berlain Herr Duff Cooper oder Herr Eden oder Herr Churchill zur Macht kommen, so wissen wir genau, daß es das Ziel dieser Männer wäre, sofort einen neuen Weltkrieg zu beginnen. Sie machen gar keinen Hehl daraus.
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Sie sprechen das offen aus."
Duff Cooper, der Erste Lord der Admiralität, hatte vier Tage vorher aus Protest gegen das Münchener Abkommen seinen Abschied eingereicht, und Eden sowie Churchill hatten während der Unterhausdebatte zum Vertrag die Auffassung vertreten, daß England gegen Deutschland hätte kämpfen müssen, um die Sudetengebiete für die Tschechoslowakei zu sichern. So hängt der britisch-deutsche Haussegen schon wieder schief, kaum daß Chamberlain und Hitler 10 Tage vorher das englisch-deutsche Freundschafts- und Konsultationsversprechen gemeinsam unterschieben hatten.
Hitlers Reaktion auf Englands neue Parlamentsentscheidung und auf den dort beschlossenen Rüstungsschub läßt auch nicht lange auf sich warten. Mit Blick auf Englands und auf Frankreichs Ungewisse Haltung gegenüber Deutschland sieht Hitler in der Tschechoslowakei mit ihren 45 Heeresdivisionen und einer um die 1.500 Flugzeuge starken Luftwaffe nach wie vor eine Gefahr in Deutschlands Rücken. Dazu kommt, daß Hitler den Westteil der Tschechoslowakei, nämlich die Tschechei, für historisch zum Deutschen Reich gehörend hält und ihn auch deshalb annektieren will. So mischt sich bei Hitler defensives Denken mit aggressiven Plänen. Als er drei Wochen nach der Konferenz von München der Wehrmacht eine neue Weisung für ihre Aufgaben in der Folgezeit erteilt, nennt er neben dem Schutz der Grenzen des Deutschen Reichs und der Inbesitznahme des noch von Litauen annektierten Memellandes die „Erledigung der Rest-Tschechei". Es heißt in dieser Weisung:
„Es muß möglich sein, die Rest-Tschechei jederzeit zerschlagen zu kön
155 nen, wenn sie etwa eine deutschfeindliche Politik betreiben würde."
So bleibt die Rest-Tschechei auf Hitlers Tagesordnung, auch wenn der Diktator Termin und Einzelheiten jetzt noch offenläßt. Er setzt offensichtlich auf die selbstzerstörerischen Kräfte innerhalb der Tschechoslowakei. Ansonsten hüllt sich Hitler in dieser Sache nach außen hin in Schweigen. Noch ein anderes Land behält die Tschechoslowakei auf der Agenda. Der polnische Botschafter Lipski spricht am 24. Oktober bei Hitler vor und bekundet Polens Interesse, die Karpato-Ukraine Ungarn zuzuschlagen. Lipski erwähnt bei der Gelegenheit, daß seine Regierung seit geraumer Zeit versucht, Ungarn zur Eroberung der Karpato-Ukraine zu bewegen. 156
Bitter sind die Entscheidungen von München für die Tschechen in den Gebieten, die nun zu Deutschland kommen. Etwa die Hälfte der rund 700.000 Tschechen in
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Domarus, Band 1, Seite 955
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Domarus, Band 1, Seite 960
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ADAP, Serie D, Band V, Dokument 81
den Sudetenlanden optiert nach dem in München zugestandenen Recht für die Tschechoslowakei und siedelt dorthin um. Die andere Hälfte – etwa 350.000 Tschechen – verbleibt bei den Sudeten, ohne dadurch späterer Verfolgung ausgesetzt zu sein. Das Optieren für die Tschechoslowakei ist für die Betroffenen ein schwerer Gang gewesen, auch wenn die Mehrheit dieser Menschen erst nach 1919 in die Sudetenlande eingewandert war. Trotz der zugestandenen sechs-Monats-Frist und trotz des Rechts, alles Eigentum mit
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