Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
Vom Netzwerk:
Mussolini, der sich nach wie vor als der Patron der Ungarn fühlt, und der seinen Einfluß dort nicht schwinden sehen möchte, drängt nun die deutsche Reichsregierung, helfend einzugreifen. Mussolini fürchtet, daß das Ungarnproblem in der Tschechoslowakei binnen dreier Monate anders nicht zu lösen ist, und er will vermeiden, daß dann die dafür vorgesehene nächste Viererkonferenz zusammentritt. Dort könnten England und Frankreich zu Lasten Ungarns und zugunsten der Tschechen und Slowaken Einfluß nehmen. Berlin und Rom üben daraufhin gemeinsam Druck auf Prag und Budapest aus, bald eine Einigung zum Schicksal der ungarischen Minderheit und zum neuen Grenzverlauf zu finden. Die Regierungen in Budapest und Prag erklären daraufhin am 30. Oktober, daß sie bereit sind, im voraus einen Schiedsspruch anzuerkennen, den Deutschland und Italien zum Streit der beiden Staaten fällen werden.

    Mussolinis England-Ängste sind in diesem Falle offensichtlich unbegründet. Die britische Regierung zeigt kein Interesse an dem Streit Ungarns und der Tsche choslowakei. Sie selbst empfiehlt der italienischen Regierung, die Minderheitsfrage durch ein deutsch-italienisches Schiedsgericht ohne Hinzuziehung der Regierungen in London und Paris zu lösen 159
    .

    Abb. 6: Verkündigung des Wiener Schiedsspruchs durch Außenminister von Ribbentrop Am Tisch von rechts nach links: der ungar. Außenmin. v. Kanya, Chefdolm. Dr. Schmidt, Legationsrat Dr. Woermann, Außenmin. v. Ribbentrop, der ital. Außenmin. Graf Ciano, der tschech. Außenmin. Chvalkovski und der slowak. Min.Präs. Dr. Tiso

    Am 2. November 1938 tritt daraufhin eine deutsch-italienische Schiedskommission in Wien zusammen. Ungarn, Tschechen und Slowaken tragen ihre Positionen vor und das Schiedsgericht entscheidet. Ein von Westen nach Osten verlaufender Gebietsstreifen im Süden der Slowakei mit einem Zipfel in der KarpatoUkraine werden Ungarn zugeschlagen. Damit kommen 746.000 Ungarn heim ins Mutterland. Doch auch 75.000 Slowaken werden dadurch gegen ihren Willen nach Ungarn eingebürgert.

    Mit dem Wiener Schiedsspruch ist nur die eine Minderheitenfrage einer Lösung zugeführt. Die zweite, die nach dem Münchener Abkommen ja auch noch offen ist, bleibt dabei ungelöst. Der Staat Polen stellt gleich nach der Annexion des Teschener Gebiets eine Reihe immer neuer Forderungen nach „polnischen" Gebie-

    159
    PAAA, R 29770, Blatt 760 76

    Karte 13: Die Landverluste der Tschechoslowakei nach dem Wiener Schiedsspruch

    ten. Doch dabei handelt es sich neben einem Streifen Grenzland vor allem um Gebiete mit Kohlevorkommen und Chemischer Industrie. Die polnischen Gebietsansprüche, die erkennbar mehr nach fremden Bodenschätzen als nach eigenen Minderheiten trachten, werden beim Wiener Schiedsgericht nicht mitverhandelt. So bleibt die Frage der polnischen Minderheit in der Tschechoslowakei auch weiter ungelöst. Und damit ist der im Münchener Abkommen vorgesehene Zeitpunkt für eine Garantie der Italiener und der Deutschen zu den neuen Grenzen der Tschechoslowakei noch immer nicht gekommen.

    Nun bahnt sich – darauf soll hier besonders hingewiesen werden – der baldige Bruch der bisher vertraglichen deutsch-polnischen Beziehungen an. Während des ganzen Oktobers 1938 versucht Polen, den Zerfall der Tschechoslowakei mit Deutschlands Hilfe zu beschleunigen., die Slowakei mit Teilen ihrer Industrie und Bodenschätze zu beerben und die Karpato-Ukraine den Ungarn zuzuschieben. Letzteres will Polen, um bei einem Krieg mit Rußland die Unterstützung der Ungarn an der eigenen Hintertür zu haben. Für die Polen sind die Tschechen und Slowaken nicht Partner, sondern im Falle einer Auseinandersetzung mit den Sowjets die Verbündeten des potentiellen Gegners, und zwar im eigenen Rücken. Am 24. Oktober, bei einem der Gespräche, das der polnische Botschafter Lipski zu diesem Zwecke mit Außenminister von Ribbentrop in Berlin führt, bringt der ein neues Thema aufs Tapet. Von Ribbentrop eröffnet Lipski, daß Hitler in absehbarer Zeit die Rückgliederung Danzigs an das Deutsche Reich wünscht. Das hätte zu der Zeit durchaus ein Handel werden können, Danzig gegen ein Stück der Tschechoslowakei. Doch der Wiener Schiedsspruch läßt die Wünsche Polens außen vor. Hier ist eine Chance verpaßt, das Streitobjekt Danzig, das ein Jahr danach den Krieg auslöst, im Zuge eines „Handels" aus der Welt zu schaffen. Ab dem 24. Oktober 1938 ist das Thema Danzig zwischen Berlin und Warschau auf

Weitere Kostenlose Bücher