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Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
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dem Tisch.

    Die „Reichskristallnacht" am 9. November 1938

    In dieser in Europa ohnehin so angespannten Lage ereignet sich ein Drama, das für Deutschland ein dauerhafter Schandfleck bleiben und schwere Folgen haben wird. Das Ereignis gehört zu diesem Teil der Vorkriegsgeschichte, weil es das englisch-amerikanisch-deutsche Verhältnis nachhaltig belastet.

    Zeitgleich mit der Verfolgung deutscher Juden herrscht ein starker Antisemitismus auch in Polen. Während in den Jahren von 1933 bis 1938 170.000 deutsche Juden ihr eigenes Land verlassen und im Ausland Rettung vor Verfolgung suchen, strömen 557.000 polnische Juden von Ost nach West, um in Deutschland den Verfolgungen in Polen zu entkommen 160
    . Die Reichsregierung versucht, Tausende der armen Flüchtlinge zurück nach Polen abzuschieben, doch dort sind sie inzwischen ausgebürgert und werden nicht mehr in ihr Land gelassen. Ein 18 Jahre alter Jude namens Grynszpan will die Aufmerksamkeit der Welt durch eine spektakuläre Tat auf das schlimme Schicksal seiner Glaubensbrüder lenken. Er erschießt, um dies zu tun, in der deutschen Botschaft in Paris einen ebenfalls noch jungen deutschen Diplomaten, den Legationssekretär vom Rath, und läßt sich dann verhaften. Das ist nach der Ermordung des Deutschen Wilhelm Gustloff, des Führers der Auslandsdeutschen in der Schweiz, durch einen Juden das zweite Attentat in dieser Art. Der Mord an Ernst vom Rath entfesselt im Deutschen Reich ein Feuer der Entrüstung. Am Tag nach der Tat Grynszpans brennen in Deutschland Hunderte von Synagogen. Jüdische Geschäfte werden zerstört, selbst Wohnungen geplündert. Die Nacht dieses schändlichen Pogroms vom 9. auf 10. November 1938 erhält die makabere Bezeichnung „Reichskristallnacht". Kurz nach dem furchtbaren Ereignis werden weitere antijüdische Gesetze im Deutschen Reich erlassen.

    Die Wirkung auf das Ausland ist verheerend. Der Argwohn der Amerikaner, Engländer und Franzosen gegen das nationalsozialistische Deutschland erhält neue Nahrung. In England und Amerika kommt zum ohnehin vorhandenen Mißtrauen gegenüber den außenpolitischen Zielen Deutschlands die offene Ablehnung des hier gezeigten Unrechts an den Juden. Die Folgen lassen auch nicht lange auf sich warten. US-Präsident Roosevelt beruft den Botschafter der Vereinigten Staaten aus Berlin ab. Die Reichsregierung reagiert mit der Abberufung ihres Mannes aus Washington. Damit ist der Faden zwischen Berlin und Wash

    160
    Benoist-Méchin, Band 7, Seite 39
    ington zerschnitten. Was auf Dauer schwerer wiegt, ist Roosevelts Bemühen, seine Gangart gegenüber Deutschland zu verschärfen. Er schlägt dem Kongreß ein neues Verfahren vor, das auf die Ablösung des bisherigen „cash- and carry"Systems zur Lieferung von Kriegswaffen an England und Frankreich auf ein „lend- and lease"-System hinausläuft 161
    . Auch wenn Roosevelts Vorschlag im Kongreß noch keine Mehrheit findet, so ist die neue Richtung damit vorgezeichnet. Des weiteren übt er Druck auf Kongreß und Industrie aus, die laufenden Rüstungsvorhaben zu beschleunigen. Mit der „Reichskristallnacht" findet die Neutralitätspolitik Amerikas den Anfang ihres Endes.

    Eine der späteren Folgen dieses Wandels in den USA ist die Verhärtung der Fronten im Streit um Danzig im Sommer 1939. Die Regierungen in Warschau, London und Paris erfahren umgehend aus Roosevelts politischer Umgebung, daß der US-Präsident der Herrschaft Hitlers und der NSDAP im Deutschen Reich ein Ende setzen und aus diesem Grunde Krieg mit Deutschland führen will. So erklärt der US-Botschafter in Paris, William Bullitt, am 19. November 1938, nur wenige Tage nach der „Reichskristallnacht", während eines Aufenthalts in Washington seinem dortigen polnischen Kollegen, Graf Potocki,:
    „Nur Gewalt und schließlich ein Krieg kann der wahnsinnigen Expansion
    Deutschlands in Zukunft ein Ende machen."
    Potocki, der dieses am 21. November brühwarm nach Warschau meldet, berichtet, daß Bullitt auf seine Frage, ob sich Amerika an einem Krieg gegen Deutschland beteiligen werde, geantwortet habe:
    „Zweifelsfrei ja, aber erst dann, wenn England und Frankreich zuerst los
    schlagen. Die Stimmung in den Vereinigten Staaten gegenüber Nazismus
    und Hitlerismus ist so gespannt, daß schon heute unter den Amerikanern
    eine ähnliche Psychose herrscht wie vor der Kriegserklärung Amerikas an
    162
    Deutschland im Jahre 1917."
    Mit einer solchen Erklärung im Rücken haben die Polen und die sie

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