Der Krieg, der viele Vaeter gatte
gezwungen haben, die Franzosen und die US-Amerikaner. In beiden Ländern ist man schon bald der Überzeugung, daß Briten und Franzosen in München politisch eine Niederlage akzeptieren mußten, weil sie militärisch schlecht gerüstet waren. So verspricht Ministerpräsident Daladier – kaum daß er zurück ist in Paris – dem Parlament, die Aufrüstung der französischen Nation mit Energie voranzutreiben. Und in den USA läßt Präsident Roosevelt sechs Wochen nach der Konferenz von München ein Luftrüstungsprogramm auflegen, das die US-Air Force auf 10.000 Militärmaschinen bringen soll 145
. Zu alledem ist nun auch die Sowjetunion verprellt, die, obwohl Schutzmacht der Tschechoslowakei, in München ausgeschlossen blieb. Am schwersten für die Zukunft wiegt, daß Großbritannien mit der Konferenz von München zur neuen Schutzmacht des Rests der Tschechoslowakei geworden ist, ein Umstand, der später Folgen hat. So zahlt das Deutsche Reich für die Heimkehr der Sudetendeutschen den Preis der zunehmenden Isolation in Europa und Amerika.
In Paris und London wird das Münchener Abkommen in den Parlamenten ratifiziert, in Paris mit einer satten Mehrheit von 535 Stimmen bei 75, die dagegen sind. In London sind es 369 Zustimmungen bei 150 Gegenstimmen 146
. Der Abstimmung im englischen Unterhaus geht eine leidenschaftliche Debatte voraus, die ahnen läßt, in welche Richtung sich die deutsch-britischen Beziehungen bewegen. Die Redebeiträge reichen vom Verständnis für die Sudetendeutschen bis zur blanken Feindschaft gegen Deutschland, das manchem Abgeordneten gefährlich und zu mächtig wird.
Der Abgeordnete Raikes: „ Wir sollten nicht vergessen, daß die Tschechen
die deutschen Gebiete noch vor dem Vertrag von
Versailles annektiert haben. Einige ehrenwerte
Mitglieder dieses Hauses beklagen die kurze
Frist zur Übergabe. Ich möchte Sie daran erin
nern, daß sich die Tschechen 20 Jahre Zeit ge
lassen haben, ehe sie den Sudetendeutschen
147
Rechte zugestanden haben."
Der Abgeordnete Sir Southby: „ Wir sind alle der Meinung, daß die Sudeten
deutschen ein Anliegen hatten, doch daß ihre
Beschwerden erst berücksichtigt wurden, als
Deutschland stark genug wurde, um für sie ein
148
zutreten."
Der Abgeordnete Churchill: „ Wir haben eine völlige, durch nichts gemilderte
145
Benoist-Méchin, Band 7, Seite 15
146
Rassinier, Seite 215
147
Wellems, Seite 133
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Wellems, Seite 133
Niederlage erlitten. Das Bündnissystem mit den Staaten Mitteleuropas, auf das Frankreich bisher seine Sicherheit gegründet hatte, ist zerstört wor den, und ich sehe kein Mittel, es wieder aufzu bauen. Alle diese Länder in Mitteleuropa werden, eines nach dem anderen, in den Bannkreis dieses ungeheuren politischen Gewaltsystems geraten,
überwältigt nicht nur von der militärischen
Macht, sondern auch von der wirtschaftlichen
149
Kraft, die von Berlin ausgeht."
Churchill kommentiert die Einigung von München auch noch im Rundfunk, wo er am 16. Oktober sagt:
„Die Tschechoslowakische Republik war der demokratischste Musterstaat
in Mitteleuropa, ein Land, in dem die Minderheiten besser behandelt wur
150
den, als irgendwo anders."
Southby geht es um Menschenrechte, Churchill um Konkurrenz und Macht.
Chamberlain begeht bei dieser Unterhausdebatte 151
über das Münchener Abkommen einen außenpolitisch schweren Fehler. Er verbindet die Billigung des Münchener Vertrages mit einer Abstimmung über ein gigantisches Aufrüstungsprogramm, das angesichts des Vorsprungs, den Deutschland seit zwei Jahren beim Heer und bei den Luftstreitkräften hat, verständlich ist. Das Programm umfaßt eine Aufstockung der Haushaltsmittel für das Militär von 400 Millionen auf
800 Millionen Pfund im Jahr, 11.000 Flugzeuge für die Royal Air Force bis zum Jahresende 1939, die Verstärkung der Feuerkraft der Flotte und die Neuaufstellung und Aufrüstung von 6 aktiven Heeresdivisionen plus 13 Divisionen für das Territorialheer 152
. Das paßt nicht zu der „Vier-Augen-Erklärung", die Chamberlain und Hitler fünf Tage vorher gemeinsam unterzeichnet haben, in der es unter anderem heißt:
„ Wir sehen das gestern abend unterzeichnete Abkommen und den deutsch
153
englischen Flottenvertrag
als symbolisch für den Wunsch unserer beiden
Völker an, niemals wieder gegeneinander Krieg zu führen. ..."
Eine Verdoppelung des Wehrhaushalts und der Bau von 11.000 Militärflugzeugen in nur 15 Monaten sind Signale, die nach
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