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Der Krieg der Welten

Der Krieg der Welten

Titel: Der Krieg der Welten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. G. Wells
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fleischfressenden Gewohnheiten einem vernunftbegabten Kaninchen erscheinen würden.
    Die physiologischen Vorteile dieses Brauches, Blut einzuführen, sind unleugbar, wenn man an die ungeheure Vergeudung menschlicher Zeit und menschlicher Kräfte denkt, die durch den Nahrungsund den Verdauungsprozeß verursacht wird. Unser Körper besteht zur Hälfte aus Drüsen und Röhren und Werkzeugen, die damit beschäftigt sind, andersgeartete Nahrung in Blut zu verwandeln. Unsere Verdauung und ihre Rückwirkung auf unser Nervensystem saugen unsere Kräfte auf und beeinflussen unsere Stimmung. Die Leute sind glücklich oder elend, je nachdem sie eine heile oder kranke Leber oder gesunde gastrische Drüsen besitzen. Die Marsleute aber waren über alle diese organischen Stimmungswechsel und Empfindungen erhaben.
    Ihre unbestreitbare Vorliebe für Menschen mochte aus einer gewissen Ähnlichkeit mit jenen Opfern rühren, die sie als Wegzehrung vom Mars mitgebracht hatten. Soweit man nach den eingeschrumpften Überbleibseln, die in menschliche Hände fielen, schließen kann, waren diese Geschöpfe Zweifüßer mit brüchigen, verkiesten Knochengerüsten (ähnlich denen verkiester Schwämme), von schwacher Muskelbildung:; sie waren im Durchschnitt sechs Fuß hoch, besaßen runde, aufrechte Köpfe und große Augen in schieferartigen Höhlen. Zwei oder drei von ihnen scheinen in jedem Zylinder mitgebracht worden zu sein; alle wurden getötet, bevor sie die Erde erreichten. Für sie war es wohl ebenso gut, denn nur der bloße Versuch, auf unserem Stern aufrecht zu stehen, hätte ihnen jeden Knochen im Leibe gebrochen.
    Weil ich schon daran bin, diese Beschreibung zu machen, will ich noch an dieser Stelle einige weitere Einzelheiten hinzufügen, die, wenn sie uns damals auch noch unbekannt waren, doch den Leser, der mit dem Leben der Marsleute nicht vertraut ist, in den Stand setzen werden, sich von diesen gefährlichen Eindringlingen eine deutlichere Vorstellung zu machen. In drei andern Punkten wich ihre Lebensweise seltsam von der unsern ab. Ihre Organismen schliefen ebensowenig, wie das Herz des Menschen schläft, Da sie keinen großen Muskelapparat zu regenerieren brauchen" war ihnen dieses zeitweilige Erlöschen unbekannt. Sie wurden scheinbar selten oder gar nicht müde. Auf der Erde können sie sich nie ohne Anstrengung bewegt haben, und doch waren sie bis zum letzten Augenblick in Tätigkeit. Während vierundzwanzig Stunden taten sie vierundzwanzigstündige Arbeit, wie es auf Erden vielleicht bei den Ameisen der Fall ist. Ferner, so wunderbar es in einer geschlechtlichen Welt erscheinen mag, waren die Marsleute durchaus geschlechtslos und daher von allen den heftigen Erregungen frei, die aus diesem Unterschiede zwischen den Menschen entspringen. Es kann heute nicht mehr bestritten werden, daß während des Krieges ein Marskind auf der Erde geboren wurde; man fand es mit seinem Erzeuger verwachsen, teilweise abknospend, genauso wie kleine Lilienzwiebeln abknospen oder die Jungen eines Süßwasserpolypen.
    Bei dem Menschen, wie bei allen höher organisierten irdischen Lebewesen, ist diese Art von Fortpflanzung verschwunden; aber selbst auf dieser Erde war sie gewiß die ursprüngliche Art. In der niederen Tierwelt, selbst bei jenen ersten Verwandten der Wirbeltiere, den Tunikaten, kommen beide Vorgänge nebeneinander vor. Schließlich aber siegte doch die geschlechtliche Vermehrung über die konkurrierende Form. Auf dem Mars ist offenbar gerade das Gegenteil der Fall gewesen. Es verdient hier hervorgehoben zu werden, daß ein findiger Kopf von angeblich wissenschaftlichem Ruf lange vor dem Einfall der Marsleute den Menschen ein künftiges System vorhergesagt hat, das jenem nicht unähnlich war, das tatsächlich auf dem Mars herrschte. Seine Prophezeiung erschien, wenn ich mich recht erinnere, im November oder im Dezember 1893 in einer längst eingegangenen Zeitschrift, dem "Pall Mall Budget", und auch eine Karikatur in dem prämarsianischen Witzblatt "Punch" kommt mir jetzt in Erinnerung. Der Schreiber wies in einem albern witzelnden Ton darauf hin, daß die Vervollkommnung der angewandten Mechanik schließlich die Glieder der und die Vervollkommnung der Chemie die Verdauung überflüssig machen würden; daß solche Organe wie Haare, Nasen, Zähne, Ohren, Kinn nicht länger wesentliche Teile des menschlichen Körpers sein würden, und daß in den kommenden Geschlechtern der Zug der natürlichen Zuchtwahl in der Richtung ihrer

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