Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
Tod ins Auge ...
Es waren so viele Verwundete, und sie taten einem alle so leid, wenn man sah, man ist machtlos, der Mensch stirbt ... Und du kannst nichts tun ... Ein junger, schöner Mann stirbt ... Dann wollte man ihn wenigstens küssen. Irgendetwas Weibliches für ihn tun, wenn man ihm als Ärztin schon nicht helfen konnte. Ihn anlächeln ...
Viele Jahre nach dem Krieg gestand mir ein Mann, dass er sich an mein Lächeln erinnert. Für mich war er ein ganz normaler Verwundeter gewesen, ich erinnerte mich nicht einmal an ihn. Er sagte, dieses Lächeln habe ihn ins Leben zurückgeholt, sozusagen aus dem Jenseits ... Ein Frauenlächeln ...«
Vera Wladimirowna Schewaldyschewa ,
Oberleutnant, Chirurgin
»Wir trafen an der Ersten Weißrussischen Front ein ... Siebenundzwanzig Mädchen. Die Männer bewunderten uns: ›Keine Wäscherinnen, keine Telefonistinnen, nein, Scharfschützinnen. Solche Mädchen sehen wir zum ersten Mal. Was für Mädchen!‹ Der Stabsfeldwebel dichtete Verse für uns. Darin hieß es ungefähr, die Mädchen sollten rührend sein wie Mairosen und dass der Krieg ihre Seelen nicht beschädigen dürfe.
Als wir an die Front gingen, schworen wir uns alle: Keine Liebesgeschichten. Das kommt alles, wenn wir heil bleiben, nach dem Krieg. Vor dem Krieg aber hatten wir noch nicht einmal geküsst. Wir waren in diesen Dingen strenger als die jungen Leute heute. Sich küssen, das hieß für uns – Liebe fürs ganze Leben. Doch die Liebe war quasi verboten (wenn die Führung davon erfuhr, wurde in der Regel einer der beiden in eine andere Einheit versetzt, das Paar wurde einfach getrennt), doch wir hüteten und schützten sie.
Ich glaube, wenn ich mich im Krieg nicht verliebt hätte, hätte ich nicht überlebt. Oder zwar überlebt, aber mit einer anderen Seele. Die Liebe war eine Rettung. Mich hat sie gerettet ...«
Sofja Kriegel , Feldwebel, Scharfschützin
»Sie fragen nach der Liebe? Ich habe keine Angst, die Wahrheit zu sagen ... Ich war eine FF , eine sogenannte Feldfrau. Die Kriegsfrau. Die Zweitfrau. Die Außereheliche.
Der erste Bataillonskommandeur ...
Ich habe ihn nicht geliebt. Er war ein guter Mensch, aber geliebt habe ich ihn nicht. Nach ein paar Monaten ging ich zu ihm in den Unterstand. Was blieb mir übrig? Ringsum nur Männer, also lieber mit einem zusammenleben, als vor allen Angst haben. Während des Gefechts war es nicht so schlimm wie danach, in Kampfpausen oder wenn wir umgegliedert wurden. Wenn geschossen wurde, auf dem Schlachtfeld, da riefen sie: ›Schwester! Schwesterchen!‹, aber nach dem Gefecht lauerten sie einem dauernd auf. Nachts traute man sich gar nicht aus dem Unterstand ... Haben die anderen Mädchen Ihnen davon erzählt oder nicht? Sie haben sich geniert, nehme ich an ... Und geschwiegen. Aus Stolz! Aber es war so. Keiner wollte sterben ... Sterben ist schlimm, wenn man noch so jung ist ... Na ja, und für die Männer war es schwer, vier Jahre ohne Frauen ... Bei unserer Armee gab es keine Bordelle, und die Soldaten bekamen auch keine Tabletten. Woanders hat man sich vielleicht darum gekümmert. Bei uns nicht ... Nur die Kommandeure konnten sich manches erlauben, die einfachen Soldaten nicht. So etwas wurde geahndet. Aber das wird verschwiegen ... Ich zum Beispiel war die einzige Frau im Bataillon, ich lebte im Gemeinschaftsunterstand. Zusammen mit den Männern. Sie hatten mir einen Extraplatz abgeteilt, aber was heißt das schon, wenn die ganze Hütte nur sechs Meter misst. Nachts wachte ich auf, weil ich mit den Armen fuchtelte – ich schlug in Gesichter, auf Hände, immer wieder. Als ich verwundet wurde und im Lazarett lag, schlug ich auch dort um mich. Die Pflegerin weckte mich nachts: ›Was hast du?‹ Wem kann man so etwas schon erzählen?
Der erste Bataillonskommandeur wurde von einem Minensplitter getötet.
Der zweite Bataillonskommandeur ...
Ihn habe ich geliebt. Ich ging mit ihm ins Gefecht, nur, um bei ihm zu sein. Ich habe ihn geliebt, obwohl er eine Frau hatte, die er liebte, und zwei Kinder. Er zeigte mir Fotos von ihnen. Und ich wusste: Nach dem Krieg geht er zu ihnen zurück. Nach Kaluga. Na und? Wir hatten so glückliche Momente! Wir haben ein solches Glück erlebt! Wenn wir zum Beispiel zurückkamen ... Aus einer schrecklichen Schlacht ... Und noch lebten ... So etwas wird er mit niemandem mehr erleben. Nicht erleben können. Ich wusste ... Ich wusste, ohne mich würde er nicht glücklich sein. Würde es nicht können ...
Gegen Kriegsende
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