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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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wurde ich schwanger. Ich hatte es mir so gewünscht ... Aber ich habe unsere Tochter allein großgezogen, er hat mich nicht unterstützt. Keinen Finger hat er krumm gemacht. Kein einziges Geschenk, kein Brief. Keine Karte. Als der Krieg aus war, war auch die Liebe aus. Wie ein Lied ... Er fuhr zu seiner rechtmäßigen Ehefrau und seinen Kindern. Zur Erinnerung überließ er mir ein Foto ... Ich wollte nicht, dass der Krieg zu Ende geht ... Ich scheue mich, das einzugestehen ... Ich wollte es nicht ... Ich war verrückt. Ich wusste, mit dem Krieg würde auch die Liebe enden ... Seine Liebe ... Trotzdem bin ich ihm dankbar für die Gefühle, die er mir geschenkt hat, die ich mit ihm kennengelernt habe. Ich habe ihn mein Leben lang geliebt, ich habe dieses Gefühl über Jahre bewahrt. Ich habe keinen Grund zu lügen. Ja, durchs ganze Leben! Ich bedaure nichts ...
    Meine Tochter macht mir Vorwürfe: ›Mama, wofür liebst du ihn?‹ Aber ich liebe ihn eben ... Vor kurzem habe ich erfahren, dass er gestorben ist. Ich habe viel geweint ... Ich habe mich deswegen sogar mit meiner Tochter gestritten: ›Warum weinst du? Er ist doch für dich schon lange tot.‹ Sie versteht mich nicht, aber ich bin nun mal so. Ich liebe ihn noch immer.
    Der Krieg, das war meine beste Zeit, weil ich dort geliebt habe. Weil ich glücklich war.
    Aber schreiben Sie bitte meinen Namen nicht. Wegen meiner Tochter ...«
    Sofja K-itsch , Sanitätsinstrukteurin
    »Woran erinnere ich mich? Im Krieg ...
    Ich kam in die Einheit ... An die vorderste Linie ... Der Kommandeur begrüßte mich mit den Worten: ›Nehmen Sie bitte mal die Mütze ab.‹ Ich wunderte mich ... Nahm die Mütze ab ... Im Wehrkomitee hatte man uns einen Jungenhaarschnitt verpasst, aber dann das Ausbildungslager und der Weg an die Front – inzwischen waren meine Haare ein wenig nachgewachsen. Sie ringelten sich schon wieder, ich habe Locken. So kleine Schäfchenlöckchen ... Heute ahnt man das nicht mehr ... Er schaute mich lange an. ›Ich habe seit zwei Jahren keine Frau mehr gesehen. Wenigstens ansehen ...‹
    Nach dem Krieg ...
    Ich lebte in einer Gemeinschaftswohnung. Die Nachbarinnen waren verheiratet, sie beleidigten mich. Sie schimpften: ›Na, erzähl mal, du Schlampe, wie du da mit unseren Männern ...‹ Sie kippten mir Essig in meinen Topf mit Kartoffeln. Löffelweise Salz ... Und lachten zufrieden ...
    Als mein Kommandeur demobilisiert wurde, kam er zu mir. Wir heirateten. Doch nach einem Jahr ging er zu einer anderen Frau, sie leitete unsere Betriebskantine. ›Sie duftet nach Parfüm, du dagegen riechst nach Stiefeln und Fußlappen.‹
    Nach dem Krieg war er ein ganz anderer Mensch als im Krieg. Im Krieg sind die Männer anders. Ohne Frauen sind sie anders ... Ohne Frauen und im Angesicht des Todes ... Der Kugeln ...«
    Jekaterina Nikititschna Sannikowa , Unterfeldwebel, Schützin

Von der sonderbaren Stille vor dem Himmel
und einem verlorenen Ring
    »Ich ging als neunzehnjähriges Mädchen aus Kasan an die Front.
    Nach einem halben Jahr schrieb ich meiner Mutter, dass man mich auf fünfundzwanzig bis siebenundzwanzig schätzte. Jeden Tag in Angst, in Schrecken. Wenn ein Splitter angeflogen kommt, hast du das Gefühl, dir wird die Haut abgezogen. Und dauernd sterben Menschen. Sterben jeden Tag, jede Stunde. Ja, scheinbar jede Minute. Die Laken reichten nicht zum Zudecken. Die Verwundeten lagen in Unterwäsche da. In den Krankenzimmern herrschte eine schreckliche Stille. Solche Stille habe ich sonst nirgends erlebt. Wenn der Mensch stirbt, blickt er immer nach oben, nie sieht er zur Seite oder dich an, wenn du bei ihm bist. Nur nach oben ... Zur Decke ... Aber so, als schaue er zum Himmel ...
    Ich sagte mir, in dieser Hölle könnte ich kein Wort von Liebe hören. Ich würde es nicht glauben. Der Krieg dauerte so viele Jahre, aber ich kann mich nicht erinnern, je ein Lied gehört zu haben. Nicht mal das berühmte Lied vom Unterstand. Kein einziges ... Ich erinnere mich nur, als ich von zu Hause wegging an die Front, da blühten die Kirschbäume bei uns im Garten. Ich drehte mich mehrmals um: Vielleicht sehe ich zum letzten Mal die Kirschbäume blühen? Später habe ich unterwegs bestimmt auch Gärten gesehen. Sie blühten ja auch im Krieg. Aber ich erinnere mich nicht daran ... In der Schule habe ich so viel gelacht, aber im Krieg habe ich nie gelächelt. Wenn ich sah, dass ein Mädchen sich die Brauen auszupfte oder sich die Lippen anmalte, war ich empört. Ich war

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