Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
Er sagte: ›Oh, Fedossenko, den kenne ich. Aber das ist direkt im Schützengraben.‹
Na, ich überredete ihn. Er nahm mich mit, wir fuhren los, und nirgends war was zu sehen. Nur Wald. Ein Waldweg. Das war neu für mich: Vorderste Frontlinie, aber niemand zu sehen. Ab und zu wurde geschossen. Schließlich waren wir am Ziel. Der Hauptfeldwebel fragte: ›Wo ist Fedossenko?‹
Er bekam zur Antwort: ›Sie sind gestern auf Erkundung gegangen, da wurden sie vom Morgengrauen überrascht, nun sitzen sie in Deckung.‹
Aber es gab bereits eine Nachrichtenverbindung zu ihm. Sie meldeten ihm, seine Schwester sei gekommen. Welche Schwester? ›Die Rothaarige.‹ Seine Schwester hat aber schwarze Haare. Na, bei rothaarig wusste er sofort Bescheid, wer die Schwester war. Ich weiß nicht, wie er da rausgekrochen ist, jedenfalls erschien er bald darauf, und wir feierten unser Wiedersehen. Das war eine Freude ...
Ich blieb einen Tag, noch einen, dann entschied ich: ›Geh in den Stab und mach Meldung. Ich bleibe hier bei dir.‹
Er ging zum Vorgesetzten, und ich hielt die Luft an: Was, wenn sie sagten, in vierundzwanzig Stunden muss sie weg sein? Das war schließlich die Front, das war verständlich. Plötzlich sah ich die Chefs auf den Unterstand zukommen: ein Major, ein Oberst. Alle gaben mir die Hand. Dann setzten wir uns natürlich, tranken etwas, und jeder sagte ein paar Worte, in dem Sinne: Was für eine Frau, die ihren Mann im Schützengraben findet, und zwar die Ehefrau, mit Stempel. Das ist eine Frau! Diese Frau muss ich sehen! Solche Worte sagten sie, und alle weinten. Diesen Abend vergesse ich mein Lebtag nicht ...
Ich blieb als Sanitäterin bei ihnen. Ging mit ihnen auf Erkundung. Ein Minenwerfer feuert, ich sehe, einer fällt. Ich denke: Tot oder verletzt? Renne hin, der Minenwerfer feuert weiter, und der Kommandeur brüllt: ›Wo rennst du hin, du Teufelsweib!!‹ Ich krieche zu ihm – er lebt ...
Am Dnepr bekam ich nachts bei Mondschein den Rotbannerorden. Mein Mann war verwundet, schwer. Wir waren zusammen gerannt, zusammen durch Sümpfe gelaufen, gekrochen. Das MG stand, glaube ich, rechts, wir krochen links davon durch den Sumpf, wir pressten uns fest an den Boden, und er wurde an der linken Hüfte verwundet. Ein Splittergeschoss – da leg mal einen Verband an, am Gesäß. Alles war zerfetzt. Schlamm und Erde, alles drang in die Wunde ein. Wir waren auf dem Weg aus der Umzingelung. Wir konnten die Verwundeten nirgends lassen, und Medikamente hatten wir auch nicht. Die einzige Hoffnung war, dass wir durchkamen. Als wir raus waren, begleitete ich meinen Mann bis ins Lazarett. Unterwegs hatte er eine Blutvergiftung bekommen. Es war Silvester ... Er starb ... Ich wusste, dass er stirbt. Er hatte viele Auszeichnungen, ich legte alle seine Orden neben ihn. Die Visite kam, und er schlief. Der Arzt trat heran.
›Sie müssen gehen. Er ist tot.‹
Ich widersprach: ›Leise, er lebt noch.‹
Mein Mann öffnete die Augen und sagte: ›Die Decke ist auf einmal ganz blau.‹
Ich sah hin. ›Nein, sie ist nicht blau. Die Decke ist weiß, Wassja.‹ Aber ihm schien sie blau.
Sein Bettnachbar sagte zu ihm: ›Na, Fedossenko, wenn du am Leben bleibst, dann musst du deine Frau aber auf Händen tragen.‹
›Das werde ich auch‹, stimmte er zu.
Ich weiß nicht, wahrscheinlich spürte er, dass er stirbt, denn er nahm meine Hände, zog mich zu sich und küsste mich. Wie zum letzten Mal.
›Ljubotschka, das tut mir so leid, alle feiern Silvester, und wir beide ... Aber sei nicht traurig, wir haben alles noch vor uns ...‹
Als er nur noch ein paar Stunden zu leben hatte, passierte ihm ein Malheur, sein Bettzeug musste gewechselt werden ... Ich wechselte das Laken, verband sein Bein, und dann musste ich ihn hochziehen aufs Kissen, er war ja ein Mann, er war schwer; ich beuge mich also ganz tief runter zu ihm, und plötzlich spüre ich: Es ist zu Ende, noch ein, zwei Minuten, und er ist nicht mehr da ... Ich wäre am liebsten selbst gestorben ... Aber ich trug unser Kind unterm Herzen, und nur das hielt mich zurück. Irgendwie überstand ich diese Tage ... Ich begrub meinen Mann am ersten Januar, und achtunddreißig Tage später wurde unser Sohn geboren, er ist Jahrgang vierundvierzig, hat selber schon Kinder. Mein Mann hieß Wassili, mein Sohn heißt Wassili Wassiljewitsch, und mein Enkel heißt auch Wassja ... Wassiljok ...«
Ljubow Fominitschna Fedossenko , Soldatin, Sanitäterin
»Wir sahen die ganze Zeit dem
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