Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
Sie waren für uns Freundinnen, die uns vom Schlachtfeld schleppten. Uns retteten, uns gesund pflegten. Ich wurde zweimal verwundet gerettet. Wie hätte ich sie schlecht behandeln können? Aber könnten Sie Ihren Bruder heiraten? Sie waren unsere Schwestern.«
»Und nach dem Krieg?«
»Als der Krieg vorbei war, da waren sie furchtbar schutzlos. Meine Frau zum Beispiel. Sie ist eine kluge Frau, aber von den Soldatenmädchen hat sie eine schlechte Meinung. Sie glaubt, sie seien nur in den Krieg gezogen, um sich einen Bräutigam zu angeln, sie hätten dort alle Affären gehabt. Aber in Wirklichkeit, wir reden ja hier ganz offen miteinander, waren die meisten anständig. Sauber ... Aber nach dem Krieg ... Nach dem ganzen Schmutz, den Läusen, nach dem vielen Tod ... Da wollte man etwas Schönes. Etwas Leuchtendes. Schöne Frauen ... Ich hatte einen Freund, den liebte an der Front ein, wie ich heute weiß, wunderbares Mädchen. Eine Krankenschwester. Aber er hat sie nicht geheiratet, er wurde entlassen und suchte sich eine andere, hübschere. Er ist nicht glücklich mit seiner Frau. Jetzt denkt er zurück an die andere, seine Kriegsliebe, sie war ihm ein Freund. Aber nach dem Krieg wollte er sie nicht heiraten, weil er sie vier Jahre lang nur in geflickten Stiefeln und Männerjacke gesehen hatte. Wir bemühten uns, den Krieg zu vergessen. Und unsere Mädchen vergaßen wir auch ...«
In dieser Nacht schläft keiner von uns. Wir reden bis zum Morgen.
Direkt aus der Metro gerate ich in einen typischen Moskauer Hof. Eine erstaunte Stimme am Telefon: »Sie sind da? Und wollen gleich zu mir? Wollen Sie nicht vorher im Veteranenrat nachfragen? Die haben alle meine Daten, haben alles überprüft.« Das Leben stellt meine romantischen Vorstellungen immer wieder hart auf die Probe. Schonungslos. Früher glaubte ich, erlebtes Leid mache den Menschen frei. Stark. Jetzt stelle ich fest – nein, das tut es nicht immer. Oft existiert es losgelöst, wie eine Art eiserne Reserve. Aber vielleicht kann es ja anderen helfen. Anderen Generationen. Mir zum Beispiel.
Was ich über den Krieg erfahre, zwingt mich, auch über unser jetziges Leben nachzudenken. Zu untersuchen, wo es sich aufgelöst hat, dieses Wissen. Wie wir in Wirklichkeit sind, aus welchem Stoff. Und wie haltbar dieser Stoff ist.
Eine nicht sehr große, füllige Frau öffnet die Tür. Die eine Hand reicht sie mir zum männlichen Händedruck, an der anderen hält sie ein kleines Enkelkind. An dessen Gelassenheit und gewohnter Neugier erkenne ich, dass häufig Gäste herkommen. Sie sind hier willkommen.
Das große Zimmer ist geräumig, es gibt kaum üblichen Hausrat. Auf den Regalen Bücher, größtenteils Kriegserinnerungen, viele vergrößerte Kriegsfotos, darunter ein Panzerhelm auf einem Hirschgeweih, auf dem polierten Tisch mehrere kleine Panzer mit Schenkungsinschriften: »Von den Soldaten der x-ten Einheit«, »Von den Kursanten der Panzerschule« ... Neben mir auf dem Sofa sitzen drei Puppen – in Militäruniform. Selbst Vorhänge und Tapeten im Zimmer sind tarnfarben.
»Die Nachbarn wundern sich: ›Was willst du zu Hause mit einem Kriegsmuseum?‹ Aber ich kann ohne das alles nicht mehr sein. Ich lebe dort ... Im Krieg ...«
Ich schalte das Tonbandgerät ein.
Nina Jakowlewna Wischnewskaja, Hauptfeldwebel, Sanitätsinstrukteurin eines Panzerbataillons:
»Wo soll ich anfangen? Da muss ich überlegen ... Du fragst nach der Seele, und ich bin gewöhnt, vom Krieg zu erzählen. Von unserem Sieg. Ich habe hier sogar einen Text für dich vorbereitet ...
Ich werde dir erzählen, wie es war ... Von Frau zu Frau ... Wie einer Freundin.
Ich fange mal damit an, dass bei den Panzertruppen Mädchen nur ungern genommen wurden. Man kann sogar sagen, eigentlich überhaupt nicht. Wie bin ich da hingekommen? Wir lebten in Konakowo im Gebiet Kalinin. Ich hatte mal gerade die Prüfungen der achten Klasse hinter mir und war in die neunte versetzt worden. Niemand von uns begriff damals, was Krieg bedeutete, für uns war das irgendwie ein Spiel, etwas aus Büchern. Wir waren mit der Romantik der Revolution aufgewachsen ... Mit Idealen ... Wir glaubten den Büchern ... Glaubten dem Radio: Der Krieg ist bald vorbei, wir werden bald siegen. Sehr bald ...
Unsere Familie lebte in einer großen Gemeinschaftswohnung, dort gab es viele Familien, und jeden Tag ging jemand in den Krieg: Onkel Petja, Onkel Wassja ... Wir verabschiedeten sie, und uns Kinder plagte vor allem die Neugier. Wir
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