Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
Michailowna Rabtschajewa ,
Soldatin, Sanitätsinstrukteurin
»Ich weiß nicht mehr, wo das war ... Einmal waren es zweihundert Verwundete in einem Schuppen, und ich war ganz allein. Wir bekamen die Verwundeten direkt vom Schlachtfeld. Das war in irgendeinem Dorf ... Das ist so viele Jahre her ... Ich erinnere mich, ich schlief vier Tage lang nicht, setzte mich nicht einmal kurz hin, jeder schrie: ›Schwester! Schwesterchen! Hilf mir, Liebe!‹ Ich rannte von einem zum anderen, und einmal stolperte ich, fiel hin und schlief sofort ein. Ich erwachte davon, dass jemand schrie, ein Kommandeur, ein blutjunger Leutnant, auch verwundet, er hatte sich auf seine gesunde Seite gestützt und schrie: ›Ruhe! Ruhe, das ist ein Befehl!‹ Er sah, dass ich keine Kraft mehr hatte, aber alle riefen nach mir, sie hatten Schmerzen: ›Schwester! Schwesterchen!‹ Ich sprang auf, rannte los, wusste nicht, wie und wohin. Da habe ich zum ersten Mal, seit ich an der Front war, geweint.
Und dann ... Sein eigenes Herz kennt man nie. Im Winter wurden gefangene deutsche Soldaten durch den Ort geführt. Völlig erfroren. Leicht angezogen. Mit zerrissenen Decken auf dem Kopf. Es herrschte ein solcher Frost, dass die Vögel im Flug erfroren. Sie fielen einfach vom Himmel. In der Kolonne lief ein Soldat, so ein kleiner ... Ganz blau gefroren ... Er hatte gefrorene Tränen im Gesicht ... Ich war mit einer Fuhre Brot auf dem Weg in die Kantine. Er konnte den Blick nicht von diesem Wagen wenden, mich sah er gar nicht, nur den Wagen. Ich brach einen Laib in der Mitte durch und gab ihm die Hälfte. Er nahm das Brot. Ganz zaghaft ... Ganz langsam ... Er konnte es nicht glauben ...
Ich war glücklich ... Ich war glücklich, dass ich nicht hassen konnte. Ich habe über mich selbst gestaunt.«
Natalja Iwanowna Sergejewa ,Soldatin, Sanitäterin
»Nur ich allein bin zur Mutter zurückgekehrt ...«
Ich fahre nach Moskau zu Nina Jakowlewna Wischnewskaja. Was ich über sie weiß, füllt vorerst nur wenige Zeilen in meinem Notizbuch: Ging mit siebzehn an die Front, kämpfte als Sanitätsinstrukteurin im ersten Bataillon der zweiunddreißigsten Panzerbrigade der fünften Armee. Nahm teil an der berühmten Panzerschlacht bei Prochorowka, in der auf beiden Seiten – deutscher und sowjetischer – tausendzweihundert Panzer und Selbstfahrgeschütze in einem Technik-Duell aufeinandertrafen. Eine der größten Panzerschlachten der Weltgeschichte.
Die Adresse habe ich von jungen Historikern aus der Stadt Borissow. Sie haben viel Material gesammelt über die zweiunddreißigste Panzerbrigade, die ihre Heimatgegend befreit hat. Sanitätsinstrukteure bei den Panzertruppen waren in der Regel Männer, hier dagegen – ein Mädchen. Ich machte mich gleich auf den Weg.
Inzwischen überlegte ich schon: Wie eine Auswahl treffen unter den Dutzenden Adressen? In der ersten Zeit hielt ich alle Erzählungen fest. Ich wurde von einer zur anderen weitergereicht, wurde eingeladen zu Veteranentreffen oder einfach so zum Piroggenessen: »Komm zu unserem Großmuttertreffen. Wir reden immer über den Krieg. Mehr als über die Enkel.« Ich bekam Briefe aus dem ganzen Land, auch meine Adresse wurde »Per Feldpost« weitergereicht. Sie schrieben: »Du gehörst zu uns, du bist auch schon ein Frontmädchen.« Bald begriff ich: Ich kann nicht alles aufschreiben, ich brauche ein Auswahlprinzip. Aber was für eins? Ich sortierte alle Adressen, die ich hatte, und formulierte es für mich so: versuchen, Frauen verschiedener militärischer Berufe zu befragen. Jeder von uns sieht ja das Leben aus seiner Sicht, von seinem Platz im Leben oder aus dem Ereignis heraus, das er erlebt. Es wäre also logisch anzunehmen, dass trotz aller Relativität eines solchen Vergleichs eine Krankenschwester ihren Krieg erlebt hat, eine Bäckerin einen anderen, eine Fallschirmjägerin einen dritten, eine Fliegerin einen vierten, die Kommandeurin eines MP -Schützenzuges einen fünften ... Jede hatte im Krieg ihren eigenen Radius – die eine den OP-Tisch: »Ich habe so viele abgetrennte Arme und Beine gesehen ... Ich glaubte nicht mehr, dass es noch irgendwo unversehrte Männer gab. Mir schien, sie wären alle verwundet oder gefallen« ( A. Demtschenko , Unterfeldwebel, Krankenschwester); die andere die Kessel der Feldküche: »Nach dem Gefecht war manchmal niemand mehr da ... Man kocht einen Kessel voll Brei, einen Kessel voll Suppe, und keiner kommt sie holen ...« ( I. Sinina , Soldatin, Köchin); die
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