Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
dritte die Flugzeugkabine: »Unser Lager war im Wald. Ich kam von einem Flug zurück und beschloss, in den Wald zu gehen, es war Hochsommer, die Walderdbeeren waren gerade reif. Ich lief einen Pfad entlang und sah: Da liegt ein Deutscher ... Tot ... Schon ganz schwarz. Wissen Sie, ich bekam Angst. Ich hatte bis dahin noch keine Toten gesehen, dabei war ich schon ein Jahr Soldat. Dort oben ist das anders ... Wenn du fliegst, dann hast du nur einen Gedanken: Das Ziel finden, deine Bomben abwerfen und zurückfliegen. Wir sahen keine Toten. Diese Angst kannten wir nicht ...« ( A. Bondarewa , Gardeleutnant der Luftstreitkräfte). Und eine Partisanin assoziiert den Krieg bis heute mit dem Geruch von brennendem Lagerfeuer: »Wir machten alles auf dem Feuer – Brot backen, Essen kochen, und wenn die Kohlen noch glimmten, dann legten wir unsere Jacken drauf, unsere Filzstiefel, wer eben was hatte, zum Trocknen. Nachts wärmten wir uns daran« ( J. Wyssozkaja ).
Aber ich kann meinen Gedanken nicht lange nachhängen. Die Wagenschaffnerin bringt Tee. Sofort schließen alle im Abteil laut und fröhlich miteinander Bekanntschaft. Die traditionelle Flasche Moskowskaja kommt auf den Tisch, von zu Hause mitgebrachtes Essen, und es beginnt, wie es bei uns üblich ist, ein vertrautes Gespräch. Über Familiengeheimnisse und Politik, über Liebe und Hass, über Führer und Nachbarn. In diesen Augenblicken gibt es keine verbotenen Themen. Einem Unbekannten kann man getrost das Herz ausschütten, das Intimste mitteilen, sich restlos vor ihm entblößen – am nächsten Morgen drückt man ihm zum Abschied die Hand und sieht ihn nie wieder. Dafür ist einem leichter ums Herz, man fühlt sich innerlich gereinigt, wie nach einer Beichte.
Unterwegs sein und reden – das ist unser Metier.
Auch ich erzähle: Zu wem ich fahre und warum. Zwei meiner Reisegefährten sind ehemalige Frontkämpfer. Der eine ist als Kommandeur eines Pionierbataillons bis Berlin gekommen, der andere war drei Jahre lang Partisan in den weißrussischen Wäldern. Wir sprechen sofort über den Krieg.
Ich schreibe das Gespräch so auf, wie ich es in Erinnerung habe:
»Wir sterben langsam aus. Wie die Mammuts! Wir gehören zu einer Generation, die noch daran glaubte, dass es im Leben etwas gibt, das größer ist als das menschliche Leben. Die Heimat. Die Idee. Na ja, und Stalin. Warum lügen? Wie heißt es doch? Aus einem Lied kann man kein Wort rauswerfen.«
»Wir hatten bei uns ein mutiges Mädchen ... Sie ging immer zur Bahnlinie. Sprengen. Vor dem Krieg war ihre ganze Familie verhaftet worden: Vater, Mutter und ihre beiden älteren Brüder. Sie lebte bei ihrer Tante, der Schwester ihrer Mutter. Gleich in den ersten Kriegstagen suchte sie Kontakt zu den Partisanen. Alle in der Abteilung sahen, dass sie bewusst die Gefahr suchte ... Sie wollte etwas beweisen. Alle bekamen Auszeichnungen, nur sie nicht. Sie bekam keine Medaille, weil ihre Eltern Volksfeinde waren. Kurz bevor unsere Truppen kamen, verlor sie ein Bein. Ich besuchte sie im Lazarett. Sie weinte. ›Aber jetzt‹, sagte sie, ›werden mir alle vertrauen.‹ Ein schönes Mädchen ...«
»Als zu mir zwei Mädchen kamen, Zugführer bei den Pionieren, die hatte mir ein Idiot in der Kaderabteilung geschickt, da hab ich sie sofort zurückgeschickt. Sie waren furchtbar empört. Sie wollten in die vorderste Linie, Minen legen.«
»Und warum haben Sie sie zurückgeschickt?«
»Aus mehreren Gründen. Erstens – ich hatte genug fähige Unterfeldwebel, die tun konnten, wofür man diese Mädchen geschickt hatte, zweitens fand ich, dass eine Frau in der vordersten Linie nichts zu suchen hat. In der schlimmsten Hölle. Es reichte, dass wir Männer das mussten. Außerdem hätte man ihnen einen Extra-Unterstand bauen und ihre Kommandeurstätigkeit mit allen möglichen Mädchendingen absichern müssen. Nichts als Arbeit ...«
»Sie finden also, eine Frau hat im Krieg nichts zu suchen?«
»Wenn man an die Geschichte denkt, da hat die russische Frau zu allen Zeiten ihren Mann, ihren Bruder und ihren Sohn nicht nur in die Schlacht verabschiedet, sich um sie gegrämt und auf sie gewartet. Schon Fürstin Jaroslawna stieg auf die Festungsmauer und kippte den Feinden flüssiges Pech auf die Köpfe. Aber wir Männer hatten Schuldgefühle, weil die Mädchen kämpften, und das habe ich immer noch. Ich erinnere mich, wir waren auf dem Rückzug. Es war Herbst, tagelang Regen. Da lag am Wegrand ein totes Mädchen ... Sie hatte
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