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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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Staunen.
    ›Wer hat dir denn beigebracht, so zu grüßen?‹
    ›Der Hauptfeldwebel, er hat gesagt, wir müssen jeden grüßen. Und Sie sind ja zwei ...‹
    Für uns Mädchen war es schwierig in der Armee. Die Rangabzeichen waren für uns ein Problem. Als wir ankamen, gab es noch Rhomben, Würfel und Streifen, da erkenne mal einer, was das für Dienstgrade sind. Da heißt es zum Beispiel: Bring das Päckchen zum Hauptmann. Aber wie den erkennen? Unterwegs vergisst du auch noch das Wort ›Hauptmann‹. Ich komme an. ›Onkelchen, Onkelchen, der Onkel hat gesagt, ich soll Ihnen das hier geben ...‹
    ›Welcher Onkel?‹
    ›Na der, der immer nur in Feldbluse rumläuft. Ohne Jacke.‹
    Wir merkten uns nicht, dass der eine Leutnant war und der andere Hauptmann, sondern etwas anderes: Schön oder hässlich, rothaarig oder groß. ›Ach, der Große!‹
    Ja, als ich dann die verbrannten Overalls sah, verbrannte Arme, verbrannte Gesichter ... Ich ... Das ist erstaunlich ... Ich hörte auf zu weinen ... Die Panzersoldaten sprangen aus ihrem brennenden Panzer, alles an ihnen brannte, rauchte. Außerdem waren häufig auch noch Arme und Beine gebrochen. Das waren sehr schwer Verwundete. Wenn so einer daliegt und bittet: Wenn ich sterbe, schreib meiner Mutter, schreib meiner Frau ... Dann empfindest du etwas, das ist größer als die Angst. Erstaunen ... Wie soll man jemandem etwas über den Tod erzählen ...
    Als die Panzersoldaten mich selbst mit kaputten Beinen aufgesammelt hatten und in ein Dorf brachten, das war das Dorf Sholtoje im Gebiet Kirowgrad, da jammerte die Hausherrin der Hütte, in der der Sanitätszug untergebracht war: ›Ach, so ein junger Bursche!‹
    Die Soldaten lachten: ›Das ist kein Bursche, Oma, da ist ein Mädchen!‹
    Sie setzte sich neben mich und sah mich an.
    ›Wieso ein Mädchen? Wieso ein Mädchen? Das ist doch ein junger Bursche ...‹
    Ich war kurz geschoren, im Overall, mit Panzerhelm – ein Junge eben. Sie trat mir ihren Platz auf dem Hängeboden ab und schlachtete sogar ein Ferkel, damit ich schneller wieder auf die Beine kam. Und bemitleidete mich dauernd: ›Sind etwa nicht genug Männer da, dass sie solche Kinder holen ... Mädchen ...‹
    Mit achtzehn bekam ich am Kursker Bogen die Medaille ›Für militärische Verdienste‹ und den Orden Roter Stern, mit neunzehn den Orden des Vaterländischen Krieges zweiter Klasse. Als wir neue Verstärkung bekamen, ganz junge Kerle, wunderten die sich natürlich. Sie waren auch achtzehn, neunzehn, und manchmal fragten sie spöttisch: ›Wofür hast du denn deine Medaillen bekommen?‹ oder ›Warst du überhaupt schon mal im Gefecht?‹. Oder sie stichelten: ›Können Kugeln etwa eine Panzerwand durchschlagen?‹
    Einen dieser jungen Kerle verband ich später auf dem Schlachtfeld, unter Beschuss, ich erinnere mich sogar noch an seinen Namen – Schtschegolewatych. Sein Bein war zerschmettert ... Ich lege ihm eine Schiene an, und er bittet mich um Verzeihung: ›Schwester, entschuldige, dass ich dich damals gekränkt habe. Du gefällst mir ...‹
    Was wussten wir damals schon von der Liebe? Wenn da überhaupt etwas gewesen war, dann höchstens eine Schülerliebe, noch vollkommen kindlich. Ich erinnere mich, einmal waren wir umzingelt. Von allen Seiten wurden wir bedrängt. Wir überlegten: In dieser Nacht brechen wir entweder durch, oder wir sterben. Wir dachten, wir würden wahrscheinlich sterben ... Ich weiß nicht, soll ich Ihnen das erzählen oder nicht?
    Wir tarnten uns. Saßen da und warteten auf die Nacht, um den Durchbruch wenigstens zu versuchen. Leutnant Mischa T. – der Bataillonskommandeur war verwundet, und er vertrat ihn –, er war höchstens neunzehn, fragte mich: ›Hast du es wenigstens mal probiert?‹
    ›Was probiert?‹ Ich hatte schrecklichen Hunger.
    ›Na was schon ... Eine Baba 2 !‹
    Ich dachte an Kuchen.
    ›Nein ...‹
    ›Ich auch nicht. Da stirbt man nun und hat nicht mal die Liebe kennengelernt ... Heute Nacht werden wir getötet ...‹
    ›Nicht doch, du Dummkopf!‹ Da erst begriff ich, was er meinte.
    Wir starben für das Leben und wussten noch gar nicht, was das Leben ist. Wir kannten alles nur aus Büchern. Außerdem ging ich gern ins Kino ...
    Sanitätsinstrukteure bei den Panzertruppen fielen oft. Für uns war im Panzer kein Platz vorgesehen, wir klammerten uns oben fest und dachten nur an eins: dass die Beine nicht in die Panzerketten gerieten. Wir mussten mitkriegen, wo ein Panzer in Brand geriet ...

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