Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
nach Hause, erzählte meiner Mutter davon und erklärte, ich wolle an die Front ...«
»Unsere waren auf dem Rückzug ... Wir gingen alle hinaus an die Straße ... Ein älterer Soldat läuft vorbei, bleibt vor unserer Hütte stehen, verneigt sich tief vor meiner Mutter: ›Verzeih, Mutter ... Und rette dein Mädchen! Ach, rettet das Mädchen!‹ Ich war damals gerade sechzehn, hatte einen langen Zopf ... Und soo lange schwarze Wimpern ...«
»Ich erinnere mich, wie wir an die Front fuhren. Ein ganzes Auto voller Mädchen, ein großer geschlossener Laster. Es war Nacht, stockdunkel, die Zweige schlugen gegen die Plane, und es herrschte eine furchtbare Spannung, wir hatten das Gefühl, als ob das Kugeln wären, als ob wir beschossen würden ... Mit dem Krieg veränderten sich Wörter und Geräusche ... Du sagst ›Mama‹, und das ist ein völlig anderes Wort, du sagst ›Liebe‹, und auch das ist ein völlig anderes Wort. Es steckt jetzt noch mehr darin. Mehr Liebe, mehr Angst ...«
»Ein Mamakind ... Ich war nie verreist, hatte noch nie in einem fremden Haus übernachtet, und nun kam ich als Assistenzärztin in eine Minenwerferbatterie. Was das für mich bedeutete! Wenn die Minenwerfer losfeuerten, wurde ich sofort taub. Ich fühlte mich, als würde ich am ganzen Leib brennen. Ich setzte mich hin und flüsterte: ›Mama, Mamotschka ... Mamotschka ...‹ Wir lagen im Wald, wenn man morgens rauskam, war alles voller Tau. War wirklich Krieg? Es war doch so schön, so wunderbar ...
Wir bekamen Befehl, uns militärisch einzukleiden, aber ich war nur eins fünfzig groß. Ich schlüpfte in die Hose, und die Mädchen banden sie über meinem Kopf zu. Also lief ich in meinem Kleid rum, versteckte mich vor der Obrigkeit. Na ja, und dann kam ich wegen Verletzung der militärischen Disziplin in Arrest ...«
»Das hätte ich nie geglaubt ... Ich hatte nicht geahnt, dass ich im Gehen schlafen kann. Du läufst in der Kolonne und schläfst, stößt gegen den Vordermann, wachst für einen Moment auf und schläfst weiter. Ein Soldat schläft überall süß. Einmal bin ich im Dunkeln statt nach vorn zur Seite gestolpert und querfeldein gelaufen, einfach schlafend weitergelaufen. Bis ich in einen Graben fiel, da bin ich aufgewacht und schnell meinen Leuten hinterhergerannt.«
»Wir standen tagelang am OP-Tisch. Du stehst da, und die Arme sinken von selber herab. Manchmal schlug man mit dem Kopf direkt auf den Patienten. Unsere Beine schwollen an, passten nicht mehr in die Stiefel. Die Augen waren so müde, dass wir sie kaum schließen konnten.«
»Das werde ich nie vergessen: Ein Verwundeter wurde gebracht, von der Trage gehoben ... Irgendjemand griff nach seiner Hand: ›Nein, er ist tot.‹ Und ging weg. Plötzlich seufzte der Verwundete. Ich kniete mich vor ihn, als er seufzte. Ich heulte und schrie: ›Einen Arzt! Einen Arzt!‹ Der Arzt wird geweckt, gerüttelt, aber er fällt immer wieder um wie eine Strohpuppe, so fest schläft er. Er war nicht einmal mit Salmiakgeist wach zu kriegen. Er hatte davor drei Tage nicht geschlafen ...«
»Ein Skibataillon, lauter Zehnklassenschüler. Niedergemäht von einem Maschinengewehr ... Da bringen sie so einen, er weint. Wir waren im selben Alter, fühlten uns aber schon älter als sie. Du umarmst ihn: ›Mein liebes Kind‹, und er: ›Wenn du dort gewesen wärst, dann würdest du nicht Kind zu mir sagen.‹ Er stirbt und schreit die ganze Nacht: ›Mama! Mama!‹ Zwei Jungen aus Kursk waren dabei, wir nannten sie die ›Kursker Nachtigallen‹. Du gehst sie wecken, und ihre Lippen sind ganz nass. Noch richtige Kinder ...«
»Schreckliche Wunden ... Man konnte verrückt werden ... Bei einem war die ganze Brust aufgerissen, man sah das Herz ... Er stirbt ... Ich lege einen letzten Verband an und muss mich furchtbar zusammennehmen, um nicht loszuheulen. Hoffentlich ist es bald vorbei, denke ich, dann kann ich mich in eine Ecke verkrümeln und heulen. Da sagt er zu mir: ›Danke, Schwester ...‹ Und hält mir etwas Kleines, Metallenes hin. Ich schaue: Ein Säbel und ein Gewehr über Kreuz. ›Warum gibst du das weg?‹, frage ich. ›Mama hat gesagt, dieser Talisman würde mich beschützen. Aber ich brauche ihn nicht mehr. Vielleicht hast du ja mehr Glück als ich?‹, sagt er und dreht sich zur Wand.
Ein anderer ruft mich zu sich: ›Schwester, mein Bein tut weh ...‹ Aber das Bein ist ab ... Am meisten fürchtete ich mich, Tote zu tragen; wenn der Wind das Laken anhob, dann sahen
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