Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
bewege meinen Arm ... Ja, ich lebe noch ... Seitdem hatte ich große Angst vor Flugzeugen. Auch wenn es noch weit weg war, hatte ich schon Angst, konnte an nichts anderes mehr denken als daran, dass es gleich da ist, und wo ich mich verstecken kann, mich verkriechen, um nichts zu sehen und zu hören. Ich kann Flugzeuglärm bis heute nicht ertragen. Ich fliege nie mit dem Flugzeug ...«
»Vor dem Krieg hätte ich beinahe geheiratet. Meinen Musiklehrer. Eine verrückte Geschichte. Ich war ernsthaft verliebt ... Und er auch ... Aber Mama ließ mich nicht: ›Du bist noch zu jung!‹
Bald begann der Krieg. Ich meldete mich an die Front. Ich wollte weg von zu Hause. Erwachsen werden. Zu Hause weinten sie und packten mir Sachen ein. Warme Socken, Wäsche ...
Den ersten Toten sah ich gleich am ersten Tag. Im Hof der Schule, wo unser Lazarett untergebracht war, hatte ein zufälliger Granatsplitter unseren Feldscher tödlich verwundet. Wir waren gerade erst angekommen. Und ich dachte: Fürs Heiraten, fand Mama, bin ich noch zu jung, aber für den Krieg nicht. Für den Krieg bin ich alt genug ...«
»Wir waren gerade angekommen ... Hatten gerade unser Lazarett eingerichtet und lauter Verwundete aufgenommen, da kam der Befehl: Evakuierung! Einige Verwundete werden aufgeladen, andere nicht. Die Autos reichen nicht. Wir werden angetrieben: ›Lasst sie hier. Ihr müsst weg.‹ Du brichst auf, und sie sehen dich an. Blicken dir nach. In diesen Augen steht alles: Demut, Bitterkeit ... Diese Trauer! Eine solche Trauer! Wer noch aufstehen kann, der kommt mit uns. Wer nicht kann, bleibt da. Und du kannst keinem von ihnen mehr helfen, wagst nicht aufzusehen ... Ich war noch jung, ich hab geweint und geweint ...
Als wir dann auf dem Vormarsch waren, ließen wir keinen Einzigen unserer Verwundeten zurück. Selbst deutsche Verwundete sammelten wir ein ... Eine Zeit lang hatte ich sie zu versorgen. Ich gewöhnte mich daran, verband sie, als wäre das selbstverständlich. Dann musste ich an einundvierzig denken, wie wir unsere Verwundeten zurückließen und was sie mit ihnen gemacht hatten. Dann dachte ich, ich kann keinen von denen mehr anrühren ... Doch am nächsten Tag ging ich wieder hin und verband sie ...«
»Woran erinnere ich mich, was ist mir im Gedächtnis haften geblieben? Die Stille, die ungewöhnliche Stille in den Zimmern, wo die Schwerverwundeten lagen ... Sie redeten nicht ... Riefen nicht ... Viele waren bewusstlos. Aber meist lagen sie nur da, sagten nichts. Dachten nach. Blickten zur Seite und dachten nach. Wenn man sie ansprach, reagierten sie nicht. Woran sie wohl dachten?«
Von Pferden und Vögeln
»Auf der Bahnstation standen zwei Züge nebeneinander. Unser Zug mit Verwundeten und ein Zug mit Pferden. Dann begann ein Bombenangriff. Wir riegelten die Waggons mit den Verwundeten auf, damit sie weglaufen konnten, sie aber rannten los, die brennenden Pferde retten. Wenn verwundete Menschen schreien, das ist schlimm, aber nichts ist schlimmer als das Wiehern von verwundeten Pferden. Sie sind doch völlig unschuldig, sie sind nicht verantwortlich für das, was die Menschen tun. Niemand lief in den Wald, alle wollten die Pferde retten. Was will ich damit sagen? Ich will sagen, dass der Mensch versuchte, ein Mensch zu bleiben ... Nicht zum Tier zu werden. Die faschistischen Flugzeuge flogen ganz tief ... Waren ganz nah ... Ich dachte hinterher, die deutschen Flieger haben das doch alles gesehen – ob sie sich denn gar nicht geschämt haben?«
»Ich erinnere mich an ein Erlebnis ... Wir kamen in ein Dorf, und dort lagen am Waldrand getötete Partisanen. Wie sie zugerichtet waren, kann ich gar nicht erzählen. Geschunden, in Stücke gehackt ... Ich mag die Worte gar nicht aussprechen, die das wiedergeben ... Daneben, ganz in der Nähe, grasten Pferde. Wahrscheinlich gehörten sie den Partisanen, sie waren sogar gesattelt. Sie waren wohl vor den Deutschen weggelaufen und nun zurückgekehrt, oder die hatten sie nicht mitnehmen können – ich weiß nicht. Friedliche Pferde, viel Gras. Ich dachte: Wie konnten Menschen so etwas Furchtbares vor Pferden tun? Vor den Augen der Tiere. Die Pferde haben doch zugesehen ...«
»Der Wald brannte, das Getreide ... Ich habe verbrannte Kühe und Hunde gesehen ... Ein eigenartiger Geruch. Ungewohnt. Ich sah ... verbrannte Fässer mit Tomaten, mit Kohl. Ich sah Vögel brennen ... Pferde, Kühe ... An diesen Geruch muss man sich auch erst gewöhnen ... Damals habe ich begriffen, dass
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