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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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alles brennen kann ... Selbst Blut brennt ...«
    »Mir tat alles Lebendige leid: ein verwundeter Hund, ein getöteter Storch ...
    Bei einem Bombenangriff lief uns eine Ziege zu. Sie legte sich neben uns. Legte sich einfach neben uns und schrie. Nach dem Bombenangriff lief sie uns immerzu hinterher, drängte sich an die Menschen, na ja, sie war auch ein lebendes Wesen, hatte auch Angst. Im nächsten Dorf gaben wir sie einer Frau: ›Nehmen Sie sie, das arme Tier.‹ Wir wollten sie retten ...«
    »In meinem Zimmer lagen zwei – ein Deutscher und ein verbrannter Panzersoldat von uns. Ich gehe zu ihnen rein: ›Wie geht es euch?‹
    ›Mir geht’s gut‹, antwortet der Panzersoldat. ›Aber ihm geht’s schlecht.‹
    ›Das ist doch ein Faschist ...‹
    ›Nein, mir geht’s ganz gut, aber ihm geht’s schlecht.‹
    Sie waren keine Feinde mehr, sie waren nur noch Menschen, zwei Verwundete. Zwischen ihnen entstand etwas Menschliches. Ich habe oft gesehen, wie schnell das ging ...«
    »Vogelzug im Spätherbst ... Lange, lange Schwärme. Die Artillerie feuert, unsere und die deutsche, aber sie fliegen weiter. Wie soll man sie warnen? Ihnen zurufen: ›Nicht hierher! Hier wird geschossen!‹ Und die Vögel fallen, fallen zur Erde ...«
    »Einmal wurden SS-Leute zum Verbinden zu uns gebracht. SS-Offiziere. Die Schwester kommt zu mir: ›Wie sollen wir sie verbinden? Grob oder normal?‹
    ›Normal. Es sind Verwundete.‹
    Wir verbanden sie ganz normal. Zwei liefen anschließend weg. Sie wurden wieder eingefangen, und damit sie nicht mehr wegliefen, schnitt ich ihnen die Knöpfe von der Unterhose ab ...«
    »Wir retteten Menschen. Aber viele bedauerten, dass sie Mediziner waren, dass sie nur mit Verbandszeug hantierten, nicht mit der Waffe. Dass sie nicht schossen ... Ich staune über mich selbst, solange ich lebe, staune ich über mich. Wie ich das alles geschafft habe: Ich habe neben Toten geschlafen, habe selbst geschossen, habe so viel Blut gesehen ... Ich erinnere mich, im Schnee ist der Blutgeruch besonders intensiv ...«
    »Gegen Kriegsende hatte ich Angst, nach Hause zu schreiben. Ich schreibe lieber nicht, dachte ich, vielleicht werde ich noch getötet und dann weint Mama, dass der Krieg vorbei ist und ich noch kurz vorm Sieg gefallen bin. Niemand sprach darüber, aber alle dachten so. Wir spürten schon, dass wir bald siegen werden. Es war schon Frühling ...
    Ich sah plötzlich, dass der Himmel blau ist ... Nahm die Vögel wahr ...«
    »Als jemand reinkam und sagte: ›Der Krieg ist aus!‹, da setzte ich mich kurzerhand auf den sterilen OP-Tisch. Der Arzt und ich hatten ausgemacht, wenn es heißt: ›Der Krieg ist aus!‹, dann setzen wir uns auf den sterilen Tisch. Machen etwas ganz Unmögliches. Ich ließ ja normalerweise niemanden an den Tisch ran. Ich trug immer Handschuhe, Mundschutz, sterilen Kittel und reichte zu, was gebraucht wurde: Tupfer, Instrumente ... Und nun setzte ich mich einfach auf den sterilen Tisch ...
    Wovon wir geträumt haben? Erstens natürlich, dass wir siegen, und zweitens, dass wir am Leben bleiben. Die eine sagte: ›Wenn der Krieg vorbei ist, dann kriege ich einen Haufen Kinder‹, die Nächste: ›Ich will studieren‹, eine andere: ›Ich werde dauernd beim Friseur sitzen. Mich schön anziehen, auf mein Äußeres achten.‹ Oder: ›Ich werde Vögel züchten. Dem Gesang der Vögel lauschen. Ich bin ganz taub vom ewigen Geschützlärm.‹
    Dann war es endlich so weit ... Auf einmal verstummten alle ...«
    »Wir hatten ein Dorf zurückerobert ... Wir suchten, wo wir Wasser holen konnten. In einem Hof entdeckten wir einen hölzernen Brunnenschwengel. Einen hölzernen Brunnen. Auf dem Hof lag der erschossene Hausherr. Daneben saß ein Hund. Als er uns sah, fing er an zu winseln. Wir begriffen nicht gleich, dass er uns rief. Er führte uns in die Hütte ... Wir folgten ihm. Auf der Schwelle lagen die Frau und drei Kinder ...
    Der Hund setzte sich daneben und weinte. Ja, er weinte richtig. Wie ein Mensch ... Ein großer Hund ... Ich dachte zum ersten Mal: Warum schämen sich die Menschen nie vor den Tieren?«
    »Wir kamen in unsere Dörfer ... Da standen nur noch die Öfen, sonst nichts. Nur die Öfen! In der Ukraine befreiten wir Orte, wo es nichts mehr gab, nur noch Melonen, die Menschen ernährten sich nur von diesen Melonen, weiter hatten sie nichts. Zur Begrüßung brachten sie uns Melonen ... Statt Blumen ...
    Ich kehrte zurück nach Hause. In einer Erdhütte lebten meine Mutter,

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