Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
gefallen. Der älteste Junge, er war elf, hatte auf dem Weg zum Einkaufen die Lebensmittelmarken verloren, darum gab ich ihnen meine Sonderverpflegung. Eines Tages sagte der Arzt zu mir: ›Komm, wir schreiben deine Adresse dazu, vielleicht meldet sich ja derjenige, der dein Blut bekommt.‹ Wir schrieben die Adresse auf und legten den Zettel zu der Ampulle.
Und nach einer Weile, höchstens zwei Monate später, ich hatte mich gerade nach dem Dienst schlafen gelegt, da rüttelte mich jemand wach: ›Steh auf! Steh auf, dein Bruder ist da.‹
›Welcher Bruder? Ich habe keinen Bruder.‹
Unser Wohnheim war im obersten Stockwerk, ich ging hinunter, und da stand ein junger, hübscher Leutnant. Ich fragte: ›Wer hat hier nach Omeltschenko gefragt?‹
Er: ›Ich.‹ Und zeigt mir den Zettel, den der Arzt und ich geschrieben hatten. ›Hier ... Ich bin dein Blutsbruder.‹
Er hatte mir zwei Äpfel mitgebracht und eine Tüte Konfekt – Konfekt gab es damals nirgends zu kaufen. Mein Gott! Wie hat dieses Konfekt geschmeckt! Ich ging zum Lazarettleiter: ›Mein Bruder ist gekommen!‹ Ich bekam Ausgang. Er lud mich ein: ›Gehen wir ins Theater.‹ Ich war noch nie im Leben im Theater gewesen, und nun ging ich also ins Theater, noch dazu mit einem jungen Mann. Einem hübschen jungen Mann. Einem Offizier!
Nach ein paar Tagen fuhr er wieder fort, er hatte einen Marschbefehl an die Woronesher Front. Als er sich verabschieden kam, machte ich das Fenster auf und winkte ihm. Ausgang bekam ich nicht – es waren gerade neue Verwundete eingetroffen.
Ich erhielt nie Post, ich wusste gar nicht, wie das ist, Post zu bekommen. Doch eines Tages wurde mir ein dreieckiger Brief ausgehändigt, ich machte ihn auf und las: ›Ihr Freund, der Kommandeur des MG -Zuges ... ist im tapferen Kampf gefallen ...‹ Mein Blutsbruder. Er war im Kinderheim aufgewachsen, und die einzige Adresse, die er bei sich trug, war wohl meine. Meine Adresse ... Als er wegfuhr, bat er mich, in diesem Lazarett zu bleiben, dann könne er mich nach dem Krieg leichter finden. Er hat mich so darum gebeten ... Und einen Monat später dann dieser Brief, dass er gefallen ist. Da bekam ich furchtbare Angst. Ich beschloss, mit aller Macht an die Front zu gehen und Rache zu nehmen für mein Blut, ich wusste, dort irgendwo war mein Blut vergossen worden ...
Aber an die Front zu gehen war nicht so einfach. Ich schrieb drei Gesuche an den Lazarettchef, beim vierten Mal ging ich selbst zu ihm.
›Wenn Sie mich nicht an die Front gehen lassen, dann laufe ich weg.‹
›Na schön. Wenn du so dickköpfig bist, stelle ich dir eben einen Marschbefehl aus ...‹
Am schlimmsten war natürlich das erste Gefecht. Der Himmel dröhnt, die Erde dröhnt, du meinst, das Herz müsse explodieren, die Haut jeden Moment zerreißen. Ich hätte nie gedacht, dass die Erde so krachen kann. Alles krachte, alles donnerte. Und bebte ... Die ganze Erde ... Ich konnte einfach nicht ... Wie sollte ich das aushalten ... Ich dachte, das überlebe ich nicht. Ich hatte so furchtbare Angst, dass ich Folgendes tat: Um mich vor Feigheit zu schützen, holte ich meinen Komsomolausweis hervor, tauchte ihn in das Blut eines Verwundeten und steckte ihn in meine Brusttasche, nah am Herzen. So schwor ich mir auszuhalten, nicht feige zu sein, denn wenn ich im ersten Gefecht feige war, dann wäre es vorbei. Man würde mich von der vordersten Linie zum Sanitätsbataillon versetzen. Aber ich wollte unbedingt an vorderster Linie sein, ich wollte wenigstens einen Faschisten Auge in Auge sehen ... Persönlich ... Wir rückten vor, liefen durch Gras, das uns bis zur Hüfte reichte ... Die Felder waren seit Jahren nicht bestellt worden. Das Laufen fiel sehr schwer. Das war am Kursker Bogen ...
Nach dem Gefecht rief mich der Stabschef zu sich. In eine zerstörte Hütte, in der nichts mehr war. Nur ein einziger Stuhl, und er stand daneben. Er platzierte mich auf diesen Stuhl.
›Also, ich sehe dich an und denke: Was hat dich veranlasst, in diese Hölle zu gehen? Du wirst doch getötet wie eine Fliege. Das hier ist schließlich Krieg! Ein Fleischwolf! Komm, ich versetze dich wenigstens ins Sanitätsbataillon. Getötet werden ist ja noch nicht mal das Schlimmste, aber wenn du nun deine Augen verlierst oder deine Arme? Hast du dir das überlegt?‹
Ich antwortete: ›Genosse Oberst, ich habe es mir überlegt. Und ich bitte Sie um eines: Lassen Sie mich in der Kompanie bleiben.‹
›Na schön, geh!‹ Er brüllte so, dass
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