Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
Schimpfen klang wie Stöhnen ... Aber trotzdem fing ich einmal sogar an zu weinen ...
Ich fuhr im Rückwärtsgang aufs Feld: Die meisten Zahnräder im Getriebe meines STS 3 waren zahnlos. Ich dachte mir einfach: Nach zwanzig Kilometern geht sowieso irgendein Traktor kaputt, und dann wird dessen Getriebe in meinen eingebaut. So kam es auch. Genau so eine Traktoristin wie ich, Sarotschka Gosenbuk, hatte nicht bemerkt, dass ihr Kühler Wasser verlor, und der Motor hatte sich festgefressen. Ach, du! Verdammte ...
Vorm Krieg hatte ich nicht mal Radfahren gelernt, und nun – gleich ein Traktor. Wir wärmten die Motoren gegen alle Regeln lange vor – mit offenem Feuer. Ich lernte mit einem überdrehten Anlasser umgehen. Und wie man den Traktor trotzdem wieder zum Laufen bringt – eine ganze Umdrehung schafft man nicht, mit einer halben springt er nicht an ... Schmieröl und Kraftstoff waren nach Kriegsnormen rationiert. Für jeden Tropfen haftete man mit seinem Kopf, genauso wie für ein verschmortes Kugellager. Ach, du! Verdammte ... Für jeden Tropfen ...
Einmal drehte ich, bevor ich aufs Feld fuhr, den Ölhahn auf, das Öl überprüfen. Es rann eine geronnene Flüssigkeit raus. Ich schreie den Brigadier an, dass Öl nachgefüllt werden muss, er kommt ran, zerreibt einen Tropfen in der Hand, riecht daran und sagt: ›Keine Bange! Einen Tag geht das noch.‹ Ich widerspreche: ›Nein, Sie haben doch selber gesagt ...‹ Er ist gleich auf hundertachtzig: ›Da hab ich mir was Schönes eingebrockt mit euch. Stadtpüppchen! Klugscheißer. Ach, du! Verdammte ... Fahr los, zum Kuckuck ...‹ Ich fahre also. Es ist heiß, der Traktor dampft, ich kriege kaum Luft, aber das ist egal, Hauptsache: Was ist mit den Kugellagern? Mir scheint, sie klopfen. Ich halte an – nein. Aber sowie ich wieder Gas gebe – klopft es! Und auf einmal höre ich direkt unter meinem Sitz: Poch, poch, poch!
Ich stelle den Motor ab, sehe nach – zwei Pleuellager sind total verschmort! Ich gehe in die Knie, umarme das Rad und weine – das zweite Mal während des ganzen Krieges. Selber schuld: Ich hab doch gesehen, wie das Öl aussah! Bin vor dem Fluchen erschrocken. Ich hätte zurückfluchen sollen, aber nein – verweichlichte Intelligenzlerin!
Ich drehe mich um, weil ich Geräusche höre. Na bitte! Der Kolchosvorsitzende, der Direktor der MTS , der Chef der Politabteilung und natürlich unser Brigadier. Alles seinetwegen!
Er steht da und rührt sich nicht. Begreift alles. Schweigt. Ach, du! Verdammte ...
Der MTS -Direktor begreift auch sofort: ›Wie viele?‹
›Zwei‹, sage ich.
Nach den Kriegsgesetzen bedeutete das Gericht. Paragraf: Schlamperei und Sabotage.
Der Chef der Politabteilung dreht sich zum Brigadier um: ›Warum passt du nicht auf deine Mädchen auf? Ich kann doch dieses Kind nicht vor Gericht stellen!‹
Irgendwie ging alles noch mal gut. Mit Aussprachen. Der Brigadier fluchte von da an nicht mehr in meiner Gegenwart. Aber ich lernte es ... Ach, du! Verdammte ... Saftige Kraftausdrücke ...
Dann geschah ein großes Glück: Unsere Mutter fand sich an. Sie kam zu uns, und wir waren wieder eine Familie. Plötzlich sagte Mama: ›Ich finde, du musst in die Schule gehen.‹
Ich begriff nicht gleich: ›Wohin?‹
›Wer soll denn für dich die zehnte Klasse machen?‹
Nach allem, was ich erlebt hatte, war es seltsam, wieder in der Schulbank zu sitzen, Matheaufgaben zu lösen, Aufsätze zu schreiben, deutsche Verben zu pauken, anstatt die Faschisten zu schlagen. Und das, als der Feind an der Wolga stand!
Aber ich musste nicht mehr lange warten: In vier Monaten wurde ich siebzehn. Zwar noch keine achtzehn, aber immerhin siebzehn. Dann würde niemand mich mehr nach Hause schicken! Niemand! Im Kreiskomitee ging alles glatt, im Wehrkomitee aber musste ich kämpfen. Wegen meines Alters und wegen meiner Augen. Aber das Erste kam dem Zweiten zu Hilfe ... Als die Sprache auf mein Alter kam, beschimpfte ich den Wehrbeauftragten als Bürokraten ... Und trat in den Hungerstreik ... Ich setzte mich neben ihn und rührte mich zwei Tage lang nicht von der Stelle, schob das Stück Brot und den Becher heißes Wasser, die er mir anbot, immer wieder beiseite. Ich drohte, ich würde verhungern, aber vorher einen Brief schreiben, wer schuld ist an meinem Tod. Ich glaube zwar nicht, dass ihm das einen Schreck einjagte, aber er schickte mich jedenfalls zur Musterung. Die fand im selben Zimmer statt. Als die Ärztin, nachdem sie meine Sehkraft
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