Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
träumen. Obwohl ich im Krieg nie geträumt habe. Irgendwo ganz in der Nähe krachte es heftig. Das Haus schwankte. Aber ich schlief trotzdem ein ...
Angst hatte ich nicht, dieses Gefühl kannte ich nicht. Glauben Sie mir, Ehrenwort! Nur nach den allerschlimmsten Luftangriffen tat mir der Zahn weh, der ein Loch hatte. Aber nicht lange. Ich würde mich bis heute für schrecklich tapfer halten, hätte ich nicht ein paar Jahre nach dem Krieg wegen ständiger, unerträglicher und völlig unerklärlicher Schmerzen an den verschiedensten Stellen meines Körpers diverse Spezialisten aufsuchen müssen. Ein erfahrener Neurologe fragte mich, wie alt ich sei, und staunte: ›Mit vierundzwanzig schon ein so zerrüttetes vegetatives Nervensystem! Wie wollen Sie damit leben?‹
Ich erwiderte, gut wolle ich leben. Ich lebe! Ja, ich war am Leben, aber meine Gelenke waren angeschwollen, mein rechter Arm versagte den Dienst und tat schrecklich weh, meine Augen waren noch schlechter geworden, eine Niere hatte sich gesenkt, die Leber verschoben, und, wie gesagt, mein vegetatives Nervensystem war total zerrüttet. Aber ich hatte den ganzen Krieg davon geträumt, zu studieren. Das Studium wurde mein zweites Stalingrad. Ich beendete es ein Jahr vorfristig, sonst hätte meine Kraft nicht ausgereicht. Vier Jahre lang in Uniformmantel – im Winter, im Frühjahr und im Herbst – und ausgeblichener, fast weißer Feldbluse ... Ach, du! Verdammte ...«
Antonina Mironowna Lenkowa , Autoschlosserin in einer mobilen Kfz- und Panzerreparaturwerkstatt
»Gebraucht wurden Soldaten ...
Aber wir wollten auch noch schön sein ...«
Ich habe bereits Hunderte Berichte aufgeschrieben – auf meinen Bücherregalen stehen geordnet Hunderte Kassetten und Tausende Manuskriptseiten. Ich höre zu und lese.
In der Intonation meiner Gesprächspartnerinnen liegt etwas Hilfloses und noch immer Jugendliches, das vermutlich noch von dort stammt, aus ihrer Zeit, in der Gulag, der Sieg und ihr aufrichtiger Glaube nebeneinander existierten. Nur reine Herzen konnten das alles miteinander verbinden. Unverdorbene Seelen voller Vertrauen. Wenn sie heute zurückdenken, erinnern sie sich, egal, worüber sie reden an ihre Schönheit (ja!), denn sie gehörte zu ihrem Leben. »Als sie im Sarg lag, war sie so schön ... Wie eine Braut ...« ( A. Strozewa , Infanteristin) oder: »Ich sollte eine Medaille bekommen, aber ich hatte nur eine alte Soldatenbluse. Da habe ich einen Kragen aus Mull drangenäht. Der war wenigstens weiß ... Ich fand mich damit so schön. Aber ich hatte keinen Spiegel, ich konnte mich nicht sehen. Beim Bombenangriff war ja alles zerstört worden ...« ( N. Jermakowa , Funkerin).
Fröhlich und gern erzählten sie von ihren naiven Mädchentricks, von ihren kleinen Geheimnissen, von den unsichtbaren Zeichen, wie sie im »männlichen« Alltag und im »männlichen« Geschäft des Krieges doch sie selbst bleiben wollten. Ihrer Natur treu. Frauen verstehen es wohl in jeder Situation, auch in der allerschlimmsten, ihr eigenes, verborgenes Leben zu führen. Ihr eigenes weibliches Leben überwindet jedes Hindernis, es ist für sie stets wichtiger. Vielleicht haben sie darum überlebt, sich ihre lebendige Seele bewahrt. Sich selbst.
In jeder Erzählung taucht etwas auf, das ich weibliches Geheimnis nennen möchte. Sie erzählen von naiven mädchenhaften Tricks, von kleinen Geheimnissen, die zeigen, wie sie sich im »männlichen« Alltag des Krieges bemühten, sie selbst zu bleiben. Ihr inneres Terrain zu schützen. Ich will einige Geschichten auswählen, in denen es vor allem darum geht – um das Weibliche. Um weibliche Freuden und Sehnsüchte im Krieg. Auch über Jahre hinweg hat ihr Gedächtnis eine Vielzahl von Einzelheiten des Kriegsalltags bewahrt. Details und Nuancen. Farben und Geräusche. Denn Frauen leben sinnlicher und detaillierter, das liegt in ihrer Natur. In ihrer Welt verschmelzen Sein und Alltag, das Sein ist ein Wert an sich, deshalb erinnern sie den Krieg als Lebenszeit. »Schade, dass ich im Krieg schön war. Das waren meine besten Jahre. Sie sind verbrannt. Danach bin ich schnell gealtert ...« ( Anna Galai , MP -Schützin).
Und dann ... Aus der Distanz von vielen Jahren werden manche Ereignisse größer, andere kleiner. Vergrößert wird das Menschliche, Intime. Und auch das ist interessant: Was vergessen wird, aus dem Gedächtnis verschwindet, sich selbst begräbt, und was nach wie vor wichtig und berührend bleibt. Worauf die Seele auch
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