Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
wie, wenn nein – warum nicht? Was ist unseren Worten und unseren Gefühlen zugänglich?
Manchmal komme ich nach einer Begegnung nach Hause und denke: Leid, das ist Einsamkeit. Totale Isolation. Ein andermal scheint mir, Leid – das ist eine besondere Art von Wissen. Von lebenswichtiger Information. Leiden hat für uns etwas Religiöses, fast Künstlerisches. Wir sind eine besondere Zivilisation. Eine Zivilisation der Tränen. Aber darin offenbart sich nicht nur Niederes, sondern auch Erhabenes. Trotz allem besteht der Mensch. Erhebt sich. Ist trotz allem schön.
»An die Front fuhren wir schon als Offiziere ... Als Unterleutnants ... Dort begrüßte man uns: ›Prima, Mädels! Schön, dass ihr da seid, Mädels. Aber wir schicken euch nirgends hin. Ihr bleibt hier bei uns im Stab.‹ So wurden wir im Stab der Pioniertruppen empfangen. Wir machten auf dem Absatz kehrt und gingen den Oberkommandierenden der Front Malinowski suchen. Während wir unterwegs waren, hatte sich im Dorf verbreitet, dass zwei Mädchen auf der Suche nach dem Oberkommandierenden sind. Ein Offizier forderte uns auf: ›Ihre Papiere bitte.‹
Er sah sie sich an.
›Warum suchen Sie den Oberkommandierenden, Sie sollen sich doch im Stab der Pioniertruppen melden?‹
Wir klagten ihm unser Leid: ›Wir wurden als Pionier-Zugführer hergeschickt, und nun will man uns im Stab behalten. Aber wir werden uns durchsetzen, wir wollen Zugführer sein, und zwar an vorderster Front.‹
Der Offizier führte uns zurück zum Stab. Lange wurde dort geredet und geredet, die ganze Hütte war voller Menschen, jeder gab uns gute Ratschläge, mancher lachte uns auch aus. Doch wir blieben stur, wir beharrten auf unserem Willen: Wir haben einen Einsatzbefehl, und zwar als Zugführer bei den Pionieren. Da wurde der Offizier, der uns hergeführt hatte, auf einmal wütend: ›Junge Damen! Wisst ihr denn, wie lange ein Zugführer bei den Pionieren lebt? Ein Zugführer bei den Pionieren überlebt nur zwei Monate ...‹
Wir wiederholten: ›Das wissen wir, deshalb wollen wir ja an die vorderste Linie.‹
Da war nichts zu machen – sie bestätigten unseren Einsatzbefehl.
›Na schön, wir schicken euch in die fünfte Angriffsarmee. Was eine Angriffsarmee ist, wisst ihr wahrscheinlich, das sagt ja schon der Name. Das ist immer vorderste Linie.‹
Sie wollten uns richtig Angst machen. Aber wir freuten uns: ›Einverstanden!‹
Wir kamen in den Stab der fünften Angriffsarmee, da saß ein gebildeter Hauptmann, der empfing uns sehr kultiviert; doch als er hörte, dass wir unbedingt Zugführer bei den Pionieren sein wollten, griff er sich an den Kopf: ›Nein, nein! Nicht doch! Wir finden hier was für euch, im Stab. Nein, wirklich, macht ihr Witze – da sind doch nur Männer, und dann eine Frau als Kommandeur – das ist Wahnsinn. Nein, nein!‹
Zwei Tage wurden wir dort bearbeitet. Wieder! Aber wir ließen nicht locker: Zugführer bei den Pionieren, nichts anderes. Da blieben wir stur. Aber das ist noch immer nicht alles. Endlich ... Endlich bekamen wir den Einsatzbefehl. Ich wurde zu meinem Zug geführt ... Die Soldaten sahen mich an, manche spöttisch, manche sogar böse, mancher zuckte die Achseln – alles klar. Als der Kommandeur mich vorstellte, also, das ist euer neuer Zugführer, heulten alle los: ›Bu-u-uh!‹ Einer spuckte sogar aus.
Aber ein Jahr später, als ich den Orden Roter Stern bekam, da trugen dieselben Jungs, diejenigen, die noch am Leben waren, mich auf ihren Schultern in meinen Unterstand. Sie waren stolz auf mich.
Wenn Sie mich fragen, welche Farbe der Krieg hat, dann sage ich: erdfarben. Für einen Pionier jedenfalls. Schwarz, gelb, rotbraun wie die Erde ...
Wir laufen ... Übernachten im Wald. Machen ein Feuer, das Feuer brennt, und alle sitzen ganz still da, einige schlafen schon. Ich bin am Einschlafen, blicke ins Feuer, ich schlafe mit offenen Augen: Motten, Insekten fliegen ins Feuer, fliegen die ganze Nacht, lautlos, stumm verschwinden sie in der riesigen Kerze. Andere kommen angeflogen ... Genau wie wir. Wir laufen und laufen. Ein endloser Strom ...
Nach zwei Monaten wurde ich nicht getötet, nach zwei Monaten wurde ich verwundet. Beim ersten Mal nur leicht. Von da an dachte ich nicht mehr an den Tod ...«
Stanislawa Petrowna Wolkowa ,
Unterleutnant, Pionier-Zugführerin
»In der Kindheit ... Ich fange mit meiner Kindheit an ... Im Krieg habe ich mich davor am meisten gefürchtet. Vor Kindheitserinnerungen. An das Zarteste darf
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