Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
nahm an, denn Pioniere bekommen nicht immer warmes Essen, wir lebten meist von Büchsennahrung. Als alle am Küchentisch versammelt waren, bemerkte ich den russischen Ofen, der mit einer Klappe verschlossen war. Ich ging hin und schaute mir die Klappe näher an. Die Offiziere witzelten: Eine Frau sieht sogar in Töpfen Minen. Ich witzelte mit, dann entdeckte ich ganz unten links ein kleines Loch. Bei genauerem Hinsehen erkannte ich einen dünnen Draht, der zum Ofen führte. Ich drehte mich rasch zu den Männern am Tisch um: ›Das Haus ist vermint, bitte alle den Raum verlassen.‹ Die Offiziere verstummten und starrten mich ungläubig an, keiner mochte aufstehen. Es duftete nach Fleisch, nach Bratkartoffeln ... Ich wiederholte: ›Bitte unverzüglich den Raum verlassen.‹ Ich ging mit meinen Pionieren an die Arbeit. Als Erstes entfernten wir die Ofenklappe. Kappten mit einer Schere den Draht ... Na, und da drin ... Da drin ... Im Ofen lagen mehrere zusammengebundene emaillierte Literbecher. Der Traum jedes Soldaten! Besser als ein Kochgeschirr. Und tief drin im Ofen, in schwarzes Papier eingewickelt, zwei große Päckchen. Rund zwanzig Kilo Sprengstoff. Von wegen Töpfe ...
Wir waren auf dem Marsch durch die Ukraine, das war schon im Gebiet Stanislawsk, heute Iwano-Frankowsk. Unser Zug hatte den Auftrag, umgehend die Zuckerfabrik zu entminen. Jede Minute war kostbar: Niemand wusste, wie die Fabrik vermint worden war, wenn ein Zeitzünder installiert war, konnte das Ganze jeden Augenblick in die Luft fliegen. Wir rückten im Eiltempo aus. Es war warm, wir waren leicht angezogen. Als wir an den Stellungen der Artilleristen vorbeikamen, sprang plötzlich einer von ihnen aus dem Schützengraben und schrie: ›Fliegeralarm! Eine Schwalbe!‹ Ich blickte zum Himmel, konnte aber kein Flugzeug entdecken. Ringsum alles still, kein Laut. Wo war denn das Flugzeug? Da bittet einer meiner Pioniere, aus dem Glied treten zu dürfen. Er geht zu dem Artilleristen und verpasst ihm eine Ohrfeige. Noch ehe ich begreife, was los ist, schreit der Artillerist: ›Männer, ich werde verprügelt!‹ Andere Artilleristen springen aus dem Schützengraben und umringen unseren Pionier. Die Männer in meinem Zug überlegen nicht lange, werfen Minensuchgeräte und Rucksäcke ab und eilen ihm zu Hilfe. Es gibt eine Prügelei. Ich kapiere überhaupt nicht, was da vorgeht. Wieso prügelt sich mein Zug? Jede Minute ist kostbar, und nun auf einmal so was. Ich kommandiere: ›Zug angetreten!‹ Keiner beachtet mich. Da ziehe ich meine Pistole und schieße in die Luft. Offiziere kommen aus dem Unterstand angerannt. Es dauert eine ganze Weile, bis sich endlich alle beruhigt haben. Ein Hauptmann kommt zu meinem Zug und fragt: ›Wer ist hier der Ranghöchste?‹ Ich mache Meldung. Er staunt und ist verwirrt. Dann fragt er: ›Was geht hier vor?‹ Darauf habe ich keine Antwort, denn eigentlich weiß ich den Grund nicht. Da tritt mein stellvertretender Zugführer vor und erzählt, wie die Sache war. Da erfahre ich, dass ›Schwalbe‹ ein beleidigendes Wort für Frau ist. So was wie Schlampe. Ein Frontschimpfwort ...
Wissen Sie ... Das ist ja hier ein aufrichtiges Gespräch ... Ich habe mich bemüht, im Krieg weder an die Liebe noch an die Kindheit zu denken. Auch nicht an den Tod. Ich habe Ihnen ja schon gesagt, ich hatte viele Tabus, um zu überleben. Besonders alles Zarte und Zärtliche untersagte ich mir. Sogar Gedanken daran. Erinnerungen. Ich erinnere mich, im befreiten Lwow bekamen wir zum ersten Mal ein paar freie Abende. Zum ersten Mal seit Kriegsbeginn ... Im Kino der Stadt sah unser Bataillon einen Film. Zuerst war es ungewohnt – die weichen Sessel, die schöne Atmosphäre, so behaglich und still. Vor der Filmvorführung spielte ein Orchester, Schauspieler traten auf. Im Foyer wurde getanzt. Polka, Krakowiak, Quadrille und zum Schluss den obligatorischen Kasatschok. Besonderen Eindruck machte auf mich die Musik. Kaum zu glauben, dass irgendwo geschossen wurde und wir bald wieder an die vorderste Linie mussten. Dass ganz in der Nähe der Tod umging ...
Doch schon zwei Tage später bekam mein Zug den Befehl, das Gelände zwischen Stadt und Bahnlinie zu durchkämmen. Dort waren mehrere Autos in die Luft geflogen. Minen ... Es fiel ein kalter Nieselregen. Wir waren alle nass bis auf die Knochen. Die Stiefel waren vollgesogen und schwer, als wären die Sohlen aus Stein. Ich stopfte mir den Saum meines Uniformmantels unter das Koppel, damit er
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