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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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allerlei Bürsten, Bohnermaschinen und so was. Aber damals ... Nach dem Zapfenstreich zog ich die Stiefel aus, um sie nicht mit Bohnerwachs zu beschmieren, wickelte mir Fetzen aus einem alten Uniformmantel um die Füße wie eine Art Schuhe und band sie fest. Dann wirft man das Bohnerwachs auf den Boden, verreibt es mit einer Bürste, und die war nicht aus Nylon, sondern aus Borsten, ständig blieben büschelweise Borsten auf dem Boden kleben, und den Rest macht man mit den Füßen. Spiegelblank polieren. Da tanzt man sich in einer Nacht die Füße wund! Die Füße brennen und sind ganz taub, der Rücken krumm und steif, Schweiß rinnt über die Augen. Am Morgen hast du nicht mal die Kraft, deine Kompanie anständig zu wecken. Und tagsüber kommst du auch nicht zum Ausruhen, der Diensthabende muss die ganze Zeit stehen. Einmal ist mir dabei was passiert. Das war komisch ... Ich stehe also Wache, bin gerade mit dem Saubermachen in der Kaserne fertig. Ich bin so todmüde, dass ich merke – gleich falle ich um. Ich stütze mich mit den Ellbogen auf ein Schränkchen und döse ein. Plötzlich höre ich, wie die Tür aufgeht und jemand reinkommt, ich richte mich hastig auf – vor mir steht der Bataillonsdiensthabende. Ich reiße die Hand an die Mütze und melde: ›Genosse Oberleutnant, die Kompanie hat Freizeit.‹ Er starrt mich mit großen Augen an und kann sich das Lachen kaum verbeißen. Da kapiere ich: Weil ich Linkshänderin bin, habe ich in der Eile die Linke an die Mütze gelegt. Ich will das noch rasch korrigieren, aber zu spät: Wieder eine Strafe ...
    Ich konnte lange nicht begreifen, dass das kein Spiel war und auch nicht mehr Schule, sondern eben eine militärische Anstalt. Vorbereitung auf den Krieg. Der Befehl des Kommandeurs ist für den Untergebenen Gesetz.
    Ich erinnere mich noch an die letzte Frage bei der letzten Prüfung:
    ›Wie oft im Leben irrt sich ein Pionier?‹
    ›Ein Pionier irrt sich nur einmal.‹
    ›Genau so ist es, Mädchen ...‹
    Danach das Übliche: ›Sie können gehen, Offiziersschülerin Bairak.‹
    Und dann – der Krieg. Richtiger Krieg ...
    Ich kam zu meinem Zug. Auf mein Kommando ›Zug, Achtung!‹ denkt der Zug gar nicht daran, aufzustehen. Einer liegt, der andere sitzt da und raucht, ein anderer reckt sich, dass die Knochen knacken: ›A-ah!‹ Jedenfalls, sie taten, als bemerkten sie mich gar nicht. Sie ärgerten sich, dass sie, erfahrene Aufklärer, Männer, sich einem zwanzigjährigen Mädchen unterordnen sollten. Das konnte ich gut verstehen, also sagte ich notgedrungen: ›Rührt euch!‹
    Da begann der Beschuss. Ich sprang in einen Graben, aber mein Mantel war noch neu, also legte ich mich nicht nach unten, in den Schmutz, sondern seitlich in den Schnee. So ist das manchmal in der Jugend – da ist einem der Mantel wichtiger als das Leben. Ein Mädchen eben, ein kleines Dummchen! Na, meine Soldaten lachten ...
    Also ... Was ist technische Aufklärung, die wir machten? In der Nacht gruben Soldaten im Niemandsland eine Zweiergrube. Vor Morgengrauen kroch ich mit einem weiteren Kommandeur zu diesem Schützenloch, und die Soldaten tarnten uns. Darin blieben wir den ganzen Tag liegen, wagten kaum, uns zu rühren. Nach ein, zwei Stunden sind Hände und Füße eiskalt, trotz Filzstiefeln und Halbpelz. Du wirst zum Eisblock. Im Winter. Im Schnee ... Im Sommer liegt man in Bruthitze oder im Regen. Den ganzen Tag beobachteten wir alles ganz genau und zeichneten eine Karte der vordersten Linie. Darauf wurde jede Veränderung an der Erdoberfläche vermerkt. Wenn wir Hügel entdeckten oder Erdbrocken, schmutzigen Schnee, zertrampeltes Gras oder dass der Tau vom Gras abgewischt war, dann war das genau das, was wir suchten ... Unser Ziel ... Klar: Da hatten deutsche Pioniere Minenfelder gelegt. Wenn sie einen Drahtverhau errichtet hatten, mussten wir dessen Länge und Breite herausfinden. Und welche Minen sie benutzt hatten – Infanterieminen, Panzerminen oder Überraschungsminen. Wir orteten die Geschützpositionen des Gegners ...
    Vor einem Angriff unserer Truppen arbeiteten wir nachts. Zentimeter für Zentimeter tasteten wir den Boden ab. Wir sorgten für minenfreie Korridore. Die ganze Zeit krochen wir über den Boden. Ich kroch wie ein Weberschiffchen von einer Abteilung zur anderen. ›Meine‹ Minen waren die meisten ...
    Ich habe so manches erlebt ... Genug für einen ganzen Film ... Für einen Mehrteiler ...
    Einmal hatten die Offiziere mich zum Frühstück eingeladen. Ich

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