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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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man im Krieg nicht denken ... An Zartes nicht ... Das ist tabu.
    Also ... Als ich klein war, schor mein Vater mir die Haare mit der Maschine immer ganz kurz. Daran musste ich denken, als man uns die Haare geschoren hatte und wir Mädchen plötzlich junge Soldaten waren. Einige Mädchen bekamen einen Schreck ... Ich gewöhnte mich schnell daran. Ich war ganz in meinem Element. Nicht umsonst seufzte Vater früher immer: ›Das ist doch kein Mädchen, das ist ein Junge.‹ Daran war vor allem eine Leidenschaft von mir schuld, die mir so manchen Ärger mit den Eltern einbrachte. Im Winter sprang ich gern vom Steilufer auf den verschneiten und zugefrorenen Ob. Nach der Schule zog ich Vaters alte Wattehose an, band sie über den Filzstiefeln zu, stopfte die Wattejacke in die Hose und verschnürte das Ganze fest mit einem Gürtel. Auf dem Kopf trug ich eine Ohrenklappenmütze, unterm Kinn zugebunden. In diesem Aufzug tapste ich wie ein Bär zum Fluss. Ich nahm mit voller Kraft Anlauf und sprang hinunter ...
    Ach! Was für ein Gefühl, wenn du so in den Abgrund fliegst und bis über den Kopf im Schnee versinkst! Atemberaubend! Auch andere Mädchen versuchten das, aber bei ihnen ging es nie glatt: Die eine verstauchte sich den Fuß, die andere schlug sich im harten Schnee die Nase auf oder noch irgendwas. Ich aber war geschickter als die Jungen.
    Ich habe mit meiner Kindheit angefangen ... Weil ich nicht gleich von Blut reden will ...
    Im September zweiundvierzig kamen wir in Moskau an. Eine ganze Woche lang fuhren wir auf dem Eisenbahnring herum. Wir hielten in Kunzewo, Perowo, Otschakowo, und überall stiegen Mädchen aus. Es kamen, wie man so sagt, ›Käufer‹, Kommandeure aus verschiedenen Einheiten und von verschiedenen Waffengattungen, warben uns als Scharfschützen, Sanitätsinstrukteure, Funker ... Das alles reizte mich nicht. Schließlich waren vom ganzen Zug nur noch dreizehn Mädchen übrig. Wir wurden alle in einem Waggon untergebracht. Auf dem Abstellgleis standen nur zwei Waggons: unser und der vom Stab. Zwei Tage kam niemand. Wir lachten und sangen: ›Vergessen, verlassen ...‹ Am zweiten Tag gegen Abend sahen wir zwei Offiziere zusammen mit dem Zugchef auf unsere Waggons zukommen.
    ›Käufer!‹ Große, schlanke Männer, straffe Schulterriemen. Die Uniformmäntel nagelneu, die Stiefel blank geputzt und mit Sporen. Ja, das war was! Solche sahen wir zum ersten Mal. Sie gingen in den Stabswaggon, und wir pressten unser Ohr an die Wand, um zu hören, worüber sie redeten. Der Zugchef zeigte unsere Listen und sagte zu jeder ein paar Worte: wer, woher, welche Bildung. Schließlich vernahmen wir: ›Sie sind alle geeignet.‹
    Der Chef stieg aus und ließ uns antreten. Wir wurden gefragt: ›Wollt ihr die Kriegskunst lernen?‹ Na, und ob wir das wollten, natürlich wollten wir. Sehr sogar! Das war unser Traum! Wir fragten nicht einmal, wo und was wir lernen sollten. Dann kam der Befehl: ›Oberleutnant Mitropolski, bringen Sie die Mädchen in die Schule.‹ Wir schulterten den Rucksack, traten in Zweierreihen an, und der Offizier führte uns durch die Straßen Moskaus. Unser geliebtes Moskau ... Unsere Hauptstadt ... Selbst in dieser schweren Zeit war sie schön ... Vertraut ... Der Offizier lief zügig, mit großen Schritten, wir kamen kaum hinterher. Erst bei der Feier des dreißigsten Jahrestags des Sieges-in Moskau gestand Sergej Mitropolski uns, den ehemaligen Offiziersschülerinnen der Moskauer Militärtechnischen Fachschule, wie sehr er sich damals geniert habe, uns durch Moskau zu führen. Er versuchte, uns auf Abstand zu halten, um nicht aufzufallen. Mit dieser Mädchenhorde ... Aber das ahnten wir ja nicht, wir rannten ihm buchstäblich hinterher. Wir waren bestimmt ein schöner Anblick!
    Also ... Gleich in den ersten Tagen der Ausbildung bekam ich zwei Dienste außer der Reihe aufgebrummt: Mal passte mir die Kälte im Unterrichtsraum nicht, mal etwas anderes. Alte Schulgewohnheit, wissen Sie. Na, ich bekam, was ich verdiente – einen Strafdienst, noch einen. Wieder und wieder. Wenn die anderen Offiziersschüler mich draußen sahen, spotteten sie: ›Unsere Dauerdiensthabende.‹ Sie hatten gut lachen, ich aber versäumte den Unterricht und schlief nächtelang nicht. Tagsüber musste ich den ganzen Tag an der Tür Wache stehen, nachts den Fußboden in der Kaserne bohnern. Wie man das damals machte? Das erkläre ich Ihnen gern ... In allen Details ... Das war nicht so wie heute, heute gibt’s ja

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