Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
das Korn gedroschen werden konnte ...
So war das ... Ich bin durch die Tschechoslowakei gekommen, durch Polen, Ungarn, Rumänien und Deutschland ... Aber ich habe wenig davon behalten. Am ehesten erinnere ich mich daran, wie das Gelände aussah. Feldsteine ... Hohes Gras ... Ich weiß nicht, ob es wirklich so hoch war oder ob es uns nur so vorkam, weil wir da furchtbar schlecht durchkamen mit unseren Sucheisen und Geräten. Außerdem erinnere ich mich an eine Menge Flüsschen und Schluchten. Ein Wäldchen, dichte Drahtverhaue mit morschen Pfählen, überwucherte Minenfelder. Verwahrloste Blumenrabatten ... Darin waren immer Minen versteckt, die Deutschen hatten eine Vorliebe für Blumenrabatten ... Einmal buddelten Bauern auf dem Nachbarfeld Kartoffeln, während wir nebenan Minen ausgruben ...
In der rumänischen Stadt Dej war ich bei einer junge Rumänin einquartiert, die gut Russisch sprach. Ihre Großmutter war nämlich Russin. Die Frau hatte drei Kinder. Ihr Mann war an der Front gefallen, in einer rumänischen Freiwilligen-Division. Aber sie lachte gern, war gern fröhlich. Einmal lud sie mich ein, mit zum Tanz zu gehen. Sie gab mir Frauenkleider. Die Versuchung war groß. Ich wollte mich so gern einmal ablenken, mich als Frau fühlen. Ich zog Hose, Feldbluse und chromlederne Stiefel an und darüber rumänische Nationaltracht: eine lange bestickte Leinenbluse und einen engen karierten Wollrock. Ein schwarzer Gürtel von ihr um die Taille, ein buntes Tuch mit langen Fransen auf den Kopf. Hinzu kam, dass ich beim Kriechen durchs Gebirge in diesem Sommer tiefbraun geworden war, nur an den Schläfen stach weißblondes Haar hervor und meine Nase pellte sich – also ich sah aus wie eine echte Rumänin. Ein rumänisches Mädchen.
Einen Klub gab es nicht, die jungen Leute trafen sich in einem Privathaus. Als wir ankamen, spielte bereits Musik und es wurde getanzt. Fast sämtliche Offiziere meines Bataillons waren dort. Erst fürchtete ich, sie könnten mich erkennen und entlarven, darum setzte ich mich weit ab, um nicht aufzufallen, zog mir sogar das Tuch halb ins Gesicht. Ich wollte wenigstens zusehen ...
Doch nachdem mich einer unserer Offiziere mehrmals zum Tanz aufgefordert und mich mit den geschminkten Lippen und nachgezogenen Brauen nicht erkannt hatte, wurde ich ganz fröhlich und ausgelassen. Ich amüsierte mich königlich ... Es gefiel mir, wenn sie mir sagten, ich sei schön. Ich bekam Komplimente ... Und tanzte und tanzte ...
Als der Krieg aus war, entminten wir noch ein ganzes Jahr lang Felder, Seen und Flüsse. Im Krieg war alles ins Wasser geworfen worden, Hauptsache, durchkommen, rechtzeitig das Ziel erreichen. Aber nun musste man an anderes denken ... An das Leben ... Für die Pioniere endete der Krieg erst einige Jahre nach dem Krieg, sie haben am längsten gekämpft. Und was das bedeutet, noch nach dem Sieg täglich auf Detonationen gefasst zu sein! Das kann ich gar nicht erzählen ... Nicht in Worte fassen ... Nein, nein! Der Tod nach dem Sieg war der schlimmste Tod. Der sinnloseste ... Unerträglich ...
Also ... Zu Neujahr sechsundvierzig bekam ich zehn Meter roten Satin zugeteilt. Ich lachte: ›Was soll ich denn damit? Höchstens, dass ich mir nach der Demobilisierung ein rotes Kleid daraus nähe. Ein Siegeskleid.‹ Als ob ich es geahnt hätte ... Bald bekam ich den Demobilisierungsbefehl. Wie es üblich ist, wurde eine große Abschiedsfeier für mich ausgerichtet. Die Offiziere überreichten mir als Geschenk ein großes feingestricktes Tuch. Dieses Tuch musste ich mir mit dem Lied vom blauen Tuch ersingen. Ich habe ihnen den ganzen Abend was vorgesungen.
Auf der Heimfahrt bekam ich Fieber. Mein Gesicht schwoll an, ich konnte den Mund nicht aufmachen. Die Weisheitszähne brachen durch ... Als ich zurückkehrte aus dem Krieg ...«
Appolina Nikonowna Lizkewitsch-Bairak ,
Unterleutnant, Zugführerin eines Pionierzuges
»Ihn nur einmal sehen ...«
Hier wird von der Liebe die Rede sein.
Die Liebe ist das einzige persönliche Erlebnis eines Menschen im Krieg. Alles andere ist kollektiv. Selbst der Tod.
Was war für mich überraschend? Dass sie über die Liebe weniger offen sprachen als über den Tod. Die ganze Zeit verschwiegen, verbargen sie etwas, um sich zu schützen und zu verteidigen. Klar, wogegen sie sich verteidigten – gegen die Kränkungen und Verleumdungen nach dem Krieg. Die hatte es reichlich gegeben! Wenn eine mal wagte, ganz aufrichtig zu sein, sich ein Geständnis
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